Ungeliebter Dichter

Meine Kollegin Uschi Günther machte mich liebenswerter Weise darauf aufmerksam: auf das Werk der Germanistik-Professoren Dagmar Ende und Thorsten Unger „Magdeburger Literaten von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart – und auf dem Weg zur Kulturhauptstadt Europas 2025?“. Erich Weinert? Fehlanzeige. Einen besonderen Grund habe das nicht gehabt, hieß es auf Nachfrage. Es habe wohl niemand zu ihm geforscht. Dabei gibt es in seinem Geburtshaus in Buckau, Thiemstraße 7, ein Erich-Weinert-Archiv. Man kann das Mobiliar seines Arbeitszimmers und die Arbeitsbibliothek Weinerts besichtigen. Es ist nicht so, dass es keine Spuren gäbe. In der Stadt Weinerts kann man in einem literaturwissenschaftlichen Werk Weinert vergessen. Das ist kein Versehen, das ist symptomatisch.

In der Raserei des stalinistischen Terrors in Moskau werden in vier Nachtsitzungen zwischen dem 4. und 9. September 1936 die deutschen Exilschriftsteller aufeinander losgelassen. Retten kann sich nur, wer andere diffamiert. Der Spiegel vom 6. Januar 1992 veröffentlichte Ausschnitte aus den Protokollen dieser Sitzungen aus dem Moskauer Archiv. Aus einer dieser Nächte stammt vermutlich der tiefe Hass zwischen Johannes R. Becher und Erich Weinert, der Bechers Lebensgefährtin angeht: „Hat sich Genosse Becher über ihre Biographie aus der früheren Zeit bei anderen Genossen erkundigt, oder kennt er sie nur aus ihrem Mund?“

Das ist der eine Weinert. Der andere ­­­­unterstützt den nach Kasachstan zwangsevakuierten Worpsweder Maler Heinrich Vogeler, der ihm zum Freund geworden ist, – dessen Erinnerungen er zehn Jahre nach dessen Tod herausgeben wird – mit Geld, um ihn dort vor dem Hungertod zu bewahren. Will sagen, ich werde nicht im Abstand und auf sicherem Terrain lebend moralisch zu Gericht sitzen, wie es offensichtlich die taten, die den kommunistischen Dichter vom Breiten Weg verbannten und im Hinterhof seines Geburtshauses, dem um seines früheren Namen beraubten (eben Erich Weinert) heutigen Literaturhaus Magdeburgs auf den Sockel stellten und damit auch noch die Intention des Schöpfers dieses Denkmals, Joachim Sendler, den Dichter ebenerdig sein Werk deklamieren zu lassen, ohne Not hinfällig machten.

Als Weinert als Vizepräsident der Zentralverwaltung für die Volksbildung in der damaligen Sowjetzone krankheitshalber (er litt an Tuberkulose, an der er 1953 auch starb) 1949 in die Schweiz reiste, zitiert ihn der Spiegel, dass er nicht mehr nach Berlin zurückkehren wolle: „Ich habe mich überzeugt, dass die Luft in Westeuropa gesünder ist.“ Freilich erscheint gleich hinter diesem Satz wieder eine moralische Diffamierung, dass die meisten sowjetischen Flugblätter, die über deutschen Stellungen mit der Aufforderung an die deutschen Soldaten, überzulaufen oder aufzugeben, von ihm unterschrieben worden wären. Das war nicht als Kompliment gemeint.

Die Jahre im Schützengraben von Stalingrad untergruben seine Gesundheit. Er hatte zum zweiten Mal das unendliche Leid gesehen, dass der Krieg über die Leute bringt. Wahrscheinlich werden einem plötzlich von daher seine Gedichte wieder so unmittelbar zeitnah, als wären sie für diese Zeit geschrieben. Ja, man muss natürlich bei Weinert sortieren. Es gibt diese furchtbaren Stalin-Elogen, aber bitte: In welcher Zeit in wessen Nähe sind sie geschrieben? Weinert lebte nicht außerhalb seiner Zeit und eben auch nicht wie Brecht im amerikanischen Exil.

Aber das alles ist kein Grund, das dichterische Werk, das in den zwanziger und dreißiger Jahren entstanden ist, gleich mit in den Orkus zu schmeißen. Im Gegenteil, er wird uns in den nächsten Jahren begleiten, weil eben diese Gedichte wieder zu sprechen beginnen. Die Zeiten sind so. Ludwig Schumann

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