Holländische Spuren an der Trinitatiskirche in Zerbst

Eine Erinnerung an den Baumeister Cornelis Ryckwaert

Die Niederlande erlebte im 17. Jahrhundert die höchste Blüte bildender Kunst im Spätbarock und wurde künstlerisches Zentrum des Nordens. Die holländische Bau- und Gartenkunst lässt sich jedoch in der europäischen Entwicklung nicht als eigenständige Komponente verstehen, wie sie die französische des 17. Jahrhunderts ist. Während die spanische Herrschaft im Süden des Landes die höfische Kultur zur Entfaltung brachte, erblühte mit der nationalen Befreiung des Nordens die städtisch-bürgerliche Kultur. Eine besonders enge Verbindung zwischen Deutschland und Holland entstand zweifelsfrei durch die Vermählung des Großfürsten Friedrich Wilhelm (1620 - 1688) mit Henriette von Oranien (1627 - 1667). Förderlich wirkten sich das gemeinsame Glaubensbekenntnis und das Bündnis von 1672 zwischen Brandenburg und Holland aus. Nicht zuletzt die Behebung der entstandenen Schäden des Dreißigjährigen Krieges führten zur Einwanderung von Holländern und so wurden Ackerbau, Industrie und Handel vielfach nach holländischem Vorbild betrieben. Davon nicht ausgeschlossen war die Baukunst im 17. Jahrhundert, wo unter den holländischen Baumeistern einer ganz besonders hervortrat: Der in Utrecht geborene Cornelis Ryckwaert (Geburtsdatum unbekannt).

Ryckwaert war dem Ruf des Kurfürsten gefolgt und beschränkte sich in seinem Wirken nicht nur auf Kurbrandenburg, sondern zeigte sein Können auch im Schlossneubau von Sonnenburg (poln. Slonsk) in der Neumark unweit von Küstrin (poln. Kostrzyn) im Auftrag des Herrenmeisters des Johanniterordens und Statthalters der Niederlande Moritz von Nassau (1567 - 1625). Nach Beendigung dieses Schlossbaus soll Ryckwaert in Kurbrandenburgische Dienste getreten sein. Küstrin wurde sein neuer Wirkungskreis. Hier bekleidete er den Posten des technischen Festungsbauleiters als Nachfolger Tielemann Jonkbloets. Obwohl er dort seinen Wohnsitz für 26 Jahre nahm, war er meist in der Fremde beschäftigt. In Küstrin erstreckte sich sein Wirken ausschließlich auf den Festungsbau. Sein Eintreffen in Küstrin bekundet ein Antrag der neumärkischen Amtsräte an den Obermarschall vom 27. April 1667. Ryckwaert beherrschte die deutsche Sprache nicht, so dass für ihn ein Bauschreiber beantragt werden musste. Die deutsche Sprache sollte Ryckwaert nie erlernt haben.

Vermutlich begann der Bau der Festungsbastion „Brandenburg“ unmittelbar in Nachbarschaft zum Schloss an der Oder 1671 und endete 1676. Ab 1670 errichtete Ryckwaert im Auftrag der Kurfürstin Dorothee den Neubau des Schlosses Schwedt an der Oder. Für den Neubau des Turms der Berliner Petrikirche war für ihn der Kurfürst der Auftraggeber im Jahre 1675. Im selben Jahr beschäftigte ihn in Frankfurt/ Oder der Ausbau des Junkerhauses und er wurde der Nachfolger des Generalquartiermeisters de Chieze.

Dann machte Ryckwaert Station in Zerbst. Von 1681 bis 1692 war er in Anhalt am Bau der dreiflügeligen Schlossanlage in Zerbst beteiligt und ab 1683 mit der Errichtung Trinitatiskirche beschäftigt. Zeitgleich begann unter seiner Beteiligung der Schlossbau in Oranienbaum bei Dessau. Nicht ganz klar ist sein Mitwirken an der Dessauer St. Johanniskirche und an den Kolonaden am Schlossplatz in Dessau.

In Zerbst wurde durch den Fürsten Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627 - 1693 ) am 31. Mai 1681 der Grundstein für den Schlossneubau gelegt, dessen Fertigstellung der damit beauftragte Ryckwaert nicht erlebte. Erst am 23. Juni 1696 ist er „ls dem Geburts-Tage Dero Durchleuchtigsten Frau Gemahlin durch einen glücklichen Einzug eingeweiht worden“. Urkundlich überliefert ist, dass Ryckwaert jährlich 100 Reichsthaler Gehalt bezog, daneben aber noch reiche Bierspenden einnahm. Die erste Eintragung, die Ryckwaert erwähnt, ist vom 23. Juni 1681, die letzte Auszahlung des Honorars datiert vom 9. August 1692.

Was nun den Schlossentwurf angeht, so birgt er für Zerbst manche Seltenheiten von Ryckwaert. Laut Wilhelm van Kampen seien die in der holländischen Architektur des 17. Jahrhunderts beheimateten schweren Guirlanden als Umrahmung der Mittelfenster und die Mittelrisalitportale der beiden Flügel zeigen Pilaster mit korinthischen Kapitellen zu nennen. Es wird vermutet, dass Simonetti hier kleine Änderungen in seinem Sinne vorgenommen hat. Dagegen eindeutig auf die Bautätigkeit Ryckwaerts zurückzuführen ist der Mittelbau ohne den späteren Turm als sehr nüchtern erscheinendes Bauwerk. Auf dem horizontal betonten Kellergeschoss sitzen die drei oberen Stockwerke auf, ohne Vertikalgliederung. Aus diesem Bau tritt die Mitte kräftig und wirksam hervor. 

Bis zum Tode Ryckwarts gab es nur einen flügellosen Mittelbau in Zerbst, der zum großen Teil von den stehengebliebenen Teilen des alten Renaissancebaues verdeckt ist. Mit dem Errichten der Seitenflügel – der linke 1705, der rechte wurde 1744 begonnen – verliert sich die Formensprache von Ryckwart und es ist kaum noch holländischer Einfluss erkennbar. Anstelle der Giebel treten nun figurengeschmückte Balustraden und es kommt auch hier in Zerbst zu einer ähnlichen Stilwandlung wie beim Schloss Schwedt in der Mark Brandenburg. Somit weicht die bewusst von Ryckwaert gewünschte Schlichtheit dem gehobenen Repräsentationsgefühl der inzwischen fortgeschrittenen Baukunstentwicklung. Deutlich sichtbar wird dies auch in der Ausführung der Flügelbauten. Nach Ryckwaert sollten die Fronten nur elf und nicht wie ausgeführt 16 Fenster haben. Der um 1720 auf das Ryckwaertsche Risalit aufgesetzte Turm beseitigt nun völlig den gewünschten Eindruck der harmonischen Einheit im Gesamtbau.

Das andere auf Ryckwaerts Spuren weisende Bauwerk ist lutherische Trinitatiskirche in Zerbst. Ihr ging eine jahrelange heftige Kontroverse zwischen den Reformierten und Lutherischen in Stadt und im Fürstentum Zerbst voraus. Nachdem dann am 27. September 1679 ein Vergleich zustande gekommen war, wurde am 7. Februar 1682 mit den ersten Bauvorbereitungen begonnen, die im Aufräumen des für die Kirche bestimmten Viehmarktes bestanden.

Das Baumaterial bezog man teilweise von außerhalb, teilweise benutzte man die Reste der im Jahre 1556 durch eine Feuersbrunst vernichteten Augustinerkirche zum Aufbau des neuen Gotteshauses. Am 4. Juni 1683, also gut zwei Jahre nach der Grundsteinlegung des Schlosses, wurde im Beisein des gesamten Hofes der Grundstein für diese Trinitatiskirche gelegt. Er liegt unter der östlichen Kirchenwand. Ryckwaert wurde mit 100 Rheintalern bedacht „wegen seiner bei Abstechung des Grundes und Legung des Grundsteines gehabten Mühewaltung zu gnädigstem recompens“. Sofort nach der Grundsteinlegung begannen die Bauarbeiten. Am 16. Oktober 1696 am Geburtstag des Fürsten, was er selbst als Baumeister nicht mehr erlebte, wurde das Gotteshaus feierlich eingeweiht. Die Zerbster Trinitatiskirche war in Anhalt das erste große Gotteshaus, dass nach der Reformation erbaut wurde. Protestantisch ist auch der Grundriss: Ein Zentralbau in Form eines griechischen Kreuzes, in dessen Ecken quadratische Anbauten vollauf gerecht, d. h. die Kanzel, als der wichtigste Teil im Kircheninneren, ist von allen Seiten sichtbar, der Prediger somit überall verständlich. Das erscheint auch den Holländern als das wesentlichste, was ein Kircheninneres aufzuweisen hat.

Am 9. November 1693 verschied er zu Küstrin. Das Grab ist nicht mehr erhalten. Über Ryckwaert kann rückblickend gesagt werden, dass er – obwohl nicht zu den führenden Baumeistern seiner Schaffensperiode zählend – es verstanden hatte, unter misslichen Verhältnissen Werke von Rang zu schaffen. Volker A. W. Wittich

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