Kombinatorische Namenskreativität

Von der Politik wird man immer wieder durch Namenskreativität überrascht. Kürzlich sollte eine Namensänderung einen neuen Inhalt erzeugen. Mit sprachlichen Etiketten ist das so eine Sache. Man kann sie hier und dort aufkleben, es bleibt doch dasselbe drin. So heftet man heute z. B. Worten Sternchen an, von anderen meint man, sie seien historisch kontaminiert und dürften nicht ausgesprochen werden oder noch anderen wiederum – wie letztens geschehen – wird eine unerwünschte Bedeutung unterstellt. Zum letzteren Fall: Da stritt man äußerst heftig darüber, ob an Bayerns Grenzen neu zu erbauende Einrichtungen „Transitzentren“ heißen dürfen. Die SPD hatte solche Konstrukte 2015 als „Haftzentren“ abgelehnt. Ja, in Namen darf man allerhand hineininterpretieren. Zunächst ein wenig Sprachtheorie: In jeder Sprache gibt es eine Syntax und eine Semantik. Die Syntax beschreibt die allgemeinen Regeln und mit Semantik wird die Bedeutung bezeichnet. Ein Name ist stets mit einem Inhalt verknüpft. Je nach persönlichem, kulturellem oder politischem Hintergrund kann es aus semantischen Gründen zu vermeidende Namen geben. Niemand käme auf die Idee, so eine Aufnahmeeinrichtung mit den Wörtern „Konzentration“ und „Lager“ zu verbinden. Auch beliebig andere Wortverknüpfungen werden schnell ins Indiskutable gerückt. Zur Klärung benötigt man also ein gewisses Namensrepertoire, um die strittigen semantischen Fragen zu klären. Hier bietet sich eine spezielle Technik aus der Gruppe der Heuristischen Methoden an, die als Kombinatorik bezeichnet wird und die ein starkes Kreativpotential besitzt. Also los: Unsere gesuchte Wortverbindung ist aus zwei Wörtern zusammengesetzt. Für die erste Gruppe Xn wählen wir z. B. die fünf Wörter: Reise-, Transit-, Aufnahme-, Prüfungs-und Kontroll-. Der Index n läuft von 1 bis 5 und bezeichnet die einzelnen Namen. Für die zweite Gruppe Ym entscheiden wir uns für die Wörter:  Zentrum, Lager, Raum, Bereich. Hier läuft m von 1 bis 4. Da wir jedes Wort der ersten Gruppe mit jedem der zweiten kombinieren können, haben wir nmax•mmax=5•4=20 Wortkombinationen geschaffen, die nun nach allen Regeln der Kunst beurteilt werden können,  „Aufnahme-Bereich“ beispielsweise.  Fügen wir nur jeweils in jeder Gruppe ein Wort hinzu, haben wir schon 30 Varianten. Da wird sich doch etwas finden lassen, was in allen politischen Richtungen Akzeptanz findet. Wie Sie also sehen, ist die Mathematik, hier die Kombinatorik, in der Lage, eine Lösung für derartige Probleme anzubieten. Sollte man von irgendeiner Seite aus gar keine „X-Y“ Einrichtungen wollen, nützt allerdings die beste Wortfindungs-Methode nichts. Wer das Prinzip verstanden hat, kann die genannte Kombinatorik für beliebige andere Probleme einsetzten, z. B. um Ausreden zu generieren. Denkbar wäre hier: Xn: Fußball-, Kollegen-, Fahrrad-, Zug-, Handy- und Ym: Crash, Ausfall, Störung, Umweg, Verlust. Das ergibt 25 Vorlagen. Seien Sie kreativ bei der Einzelwortfindung. Beachten Sie, dass nicht jede Kombination sinnvoll sein muss; sie dient oft nur als Anregung zur Wortbildung, die sie natürlich schöpferisch erweitern können. Und: Das Wort „Bier“ ist hier nirgends gefallen, in keiner Gruppe. Prof. Dr. Viktor Otte

Zurück