Wackeldackel mit Benzingeruch

1984

Samstags Vormittag auf einem Baumarktgelände in Rothensee. In das Vogelgezwitscher des sonnigen Tages mischen sich plötzlich andere Töne. Das dumpfe Grummeln eines heckangetriebenen Oldtimers kämpft sich durch das geschäftige Treiben auf dem Parkplatz. Und die heute selten zu hörenden Motorgeräusche erreichen auch die Ohren eines älteren Ehepaares, die gerade in den Baumarkt wollten. Bei dem Mann schlägt das Herz höher, als er den graphitgrauen Oldtimer des tschechoslowakischen Herstellers Škoda sieht. „Genau diesen Wagen hatten wir auch”, sagt er zu seiner Ehefrau. Beide schleichen um das Auto Baujahr 1964 herum und ein Lächeln breitet sich in ihren Gesichtern aus, Erinnerungen werden wach. Als sich dann der ältere Herr sogar noch an das Lenkrad des 1000 MB setzen kann, wischt er sich verstohlen eine Träne aus den Augen. „Dass ich das noch erleben darf”, sagt er mit glänzenden Augen zu seiner Frau.

 

2018

Genau diese Situationen sind es, die auch Joachim Fanger glücklich machen. Der Chef des Rothenseer Autohauses liebt die Momente, in denen er seine vierrädrigen Schätze ausfahren kann. Ob Wartburg, Škoda, Trabi & Co – seine Leidenschaft gehört den Autos, die im Osten Deutschlands die Straßen beherrschten. Als sich vor fast 30 Jahren das Land mit der Einheit über Nacht vergrößerte, veränderte sich auch der Fuhrpark der Ostdeutschen. Begehrte Karossen aus der Ostdeutschen Produktion und den „sozialistischen Bruderländern” wie Trabi, Wartburg, Barkas, Lada, Škoda, Wolga, Polski Fiat, Zastava, Dacia, Saporoshez, Tatra, Tschaika oder Moskwitsch, die teilweise zu horrenden Preisen als „Second-Hand-Wagen” gehandelt wurden, verloren innerhalb weniger Tage ihren Wert und verschwanden nach und nach aus dem Straßenbild. Kein Wunder, dass sich heute die Menschen auf der Straße nach den typischen Zweitakt-Geräuschen eines Trabi-Motors umdrehen. Und selbst der Geruch des verbrannten Benzin-Ölgemischs, das als blauer Rauch aus den dünnen Auspuffrohren des „Stänkers” kommt, lässt Erinnerungen aufleben.

 

Trabi, Wartburg & Co: Autos aus DDR-Produktion sind heute wenig auf der Straße zu finden und Sammlerstücke.

Joachim Fanger sammelt diese aus Blech und Plaste geformten Emotionen. Als gelernter Maschinenbauer studierte er diese Fachrichtung in Magdeburg an der Technischen Universität. Seine Leidenschaft für Autos bekam er schon im Kindesalter ans Herz gelegt. Als kleiner Bub war es für ihn der größte Stolz, mit den Eltern im Auto zu sitzen und auf der Rückbank die Ausfahrten zu genießen. 1983 war es soweit: Fanger kaufte sich sein erstes Auto Marke Trabant. Der im VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau gebaute „Duroplastbomber” hatte seine besten Zeiten allerdings schon hinter sich. Für den Hobbybastler kein Problem. Er baute das für 6.500 Mark gekaufte Auto neu auf und konnte mit dem Verkaufserlös einen Wartburg Tourist erwerben. Wartezeiten von bis zu 17 Jahren für einen Neuwagen aus DDR-Produktion trieben die Gebrauchtwagenpreise in die Höhe. Zwar versuchten DDR-Funktionäre seit den 1970er-Jahren, die Versorgungsengpässe mit Importautos auszugleichen, doch viele DDR-Bürger beschafften sich ihr Auto auf dem privaten und ständig florierenden Gebrauchtwagenmarkt. Selbst Ersatzteile waren „Goldstaub” und die Beschaffung von Zylinderdichtungen, Keilriemen oder Karosserieteilen gestaltete sich oft abenteuerlich. Begehrte Heimwerkerware, Farbfernseher, exotische Früchte oder die „blauen Kacheln” (100-Westmarkscheine, oft getauscht zum Kurs von 1:10) wurden eingesetzt, um an die Ersatzteile oder sogar auch Gebrauchtwagen zu kommen.

 

Instrumentenanzeige im Škoda 1000 MB.

Joachim Fanger setzte die goldenen Hände in seiner Freizeit wieder ein, um den Wartburg Tourist mit Freunden und Bekannten aufzubauen und schick zu machen. Der Verkaufserlös reichte für eine der begehrten Wartburg 353 Limousinen. Diese wiederum konnte er gegen einen gebrauchten und heiß begehrten Wartburg Kombi mit Knüppelschaltung eintauschen. Und so könnte es weitergehen. Doch 1989 mit der Wende kam der Wandel. Nach dem Mauerfall kam beim Autohandel Goldgräber-Stimmung auf. Der Wert der hoch gehandelten Trabis und Wartburgs fiel ins Bodenlose und „West-Autos“ wurden überteuert verkauft. Plötzlich wollten viele DDR-Bürger in den Besitz eines neuen Autos kommen und plünderten die Sparbücher. Doch die „Gebrauchten” aus dem Westen waren oft mit Märchen-Preisen versehen und zudem viele der angebotenen Schmuckstücke schrottreif. Die böse Überraschung ließ nicht lange auf sich warten und die frisch gekauften Autos blieben mit Motorschäden liegen.

 

Königsklasse der Oldtimer: Wartburg 312 Tourist.

Zwar brachte diese Form des modernen „Schrotthandels” enorme Gewinnspannen, aber auch den Vertrauensverlust beim Gebrauchtwagenhandel. Die Nachfrage nach den Autos ließ die Preise in astronomische Höhen klettern, sodass selbst die klapprigste Rostlaube für tausende Mark den Besitzer wechselte. Die Käufer im Osten kannten die „Schwacke-Liste” nicht, die als offizielle Preisliste für Gebrauchtwagen als Richtlinie diente, aber von den Händlern sorgsam versteckt war.

Es war genau diese Situation, in der Joachim Fanger die Initiative ergriff und auf der Großen Diesdorfer in Magdeburg einen Gebrauchtwagenhandel eröffnete, der auf Beratung und seriöse Angebote setzte. Hier konnte er vielen Automobilisten den Traum von einem Fahrzeug erfüllen, ohne dass diese hinterher ein böses Erwachen hatten.

 

Grenzübergreifend: Der Wackeldackel bewachte schon vor der Wende in Ost und West die Autos auf der Hutablage.

Nach wenigen Jahren bekam Fanger die Chance, in einem neuen Autohaus als Verkaufsleiter einzusteigen. Heute ist er Chef des Rothenseer Autohauses. Seinem Hobby, alte Fahrzeuge zu erhalten und zu restaurieren, blieb er allerdings treu. Für so manches Schätzchen in seiner Fahrzeughalle würden Sammler Höchstgebote abgeben. Aber trotz einigen Platzmangels kann sich Fanger von seinen Autos schwer trennen. Zu den Raritäten zählt ein Wartburg 312 Camping, von dem es heute in der Originalversion nur noch wenige Fahrzeuge gibt. 570 Stück dieser Luxusversion des Wartburg verließen zwischen 1965 und 1967 das Fließband des Automobilwerks Eisenach. Wenn er mit diesen Autos unterwegs ist, kann er sicher sein, die Blicke auf sich zu ziehen. Zu selten sieht man noch die alten Autos auf den Straßen. Und es kann auch schon mal vorkommen, dass ihn Passanten fragen, ob sie mal in das Auto reinschnuppern können. Denn der unverkennbare Geruch aus Benzin und den alten Bezügen, die sogar noch teilweise im Original vorhanden sind, ist vielen Menschen noch in der Nase.

 

Vom Trabi p50 zur Trabi 601 Limousine.

Gleich daneben in der einem kleinen Museum gleichenden Fahrzeughalle steht der Nachfolger des legendären 312. Unverkennbar und kantig präsentiert sich der Wartburg 353 als Kombiversion in „polarweißer” Außenfarbe. Original das Interieur und ein schnörkelloses nutzergerechtes Design ohne Schnickschnack: Der 353 Tourist mit klar erkennbaren Funktionselementen und einem Funken Bauhaus-Esprit war gestalterisch ein Meilenstein. Die Fahrzeuge in der Halle sind neu aufgebaut und aufwändig restauriert. Unterstützung bekommt er vom Schwiegervater Heinz, dem auch das Benzin im Blut fließt. Allerdings beschränkt sich bei ihm die Sammelleidenschaft auf die Zweiräder der DDR-Produktion aus der „Vogel-Serie”: Schwalbe, Star, Habicht und andere seltene Mopeds.

 

Übersichtlich die Bedienelemente und der Zigarettenanzünder im Wartburg mit Original-Piktogrammen.

Viele der Autos fährt Joachim Fanger selber an den Wochenenden. „Die müssen bewegt werden, sonst stehen sie sich kaputt”, meint er schmunzelnd. Natürlich nicht nur deswegen. Seine Enkelkinder freuen sich jedes Mal riesig, wenn es mit den auf Hochglanz polierten Oldtimern übers Land geht. „Wenn der Wagen Sprit hat und einen Funken, muss er laufen”, so Fanger, als er einen der Trabis in Bewegung setzt. Das Rumstehen schadet nur einzelnen beweglichen Teilen. So ein Trabi muss auch rollen. Und der Wagen, den er jetzt anlässt, hat es in sich. „Er steht noch auf einer original P50-Bodengruppe, obwohl es ein P601 ist”, so Fanger. Bei den Wartezeiten auf einen Neuwagen war es kein Wunder, dass man einfach eine neuere Karosserie auf eine alte Bodengruppe setzte, um ein moderneres Model zu haben. Immerhin kamen die ersten P50 (oder auch P500) der Trabant-Modellreihe bereits 1958 von Sachsenring aus Zwickau. Der Trabant P50 (die Bezeichnung bedeutete Personenkraftwagen mit 500 cm³ Hubraum) war einer der ersten vollwertigen Kleinwagen mit Frontantrieb. Und auch der andere Trabi daneben entpuppt sich als kleine Rarität. Er bekam nach der Wende einen Umbau als Trabant Ostermann Cabrio. Ein Trabi Kübel befindet sich auch im Besitz des Sammlers.

 

Klimaanlage im Trabant: An heißen Tagen sollte ein Ventilator für Abkühlung sorgen.

Wenn es um Autos geht, die auf den ostdeutschen Straßen rollten, entpuppt sich Joachim Fanger als wandelndes Lexikon. Selbst einen Wolga GAZ 21 oder den Lada WAS-2101, auch bekannt als Shiguli, hatte er schon in seinem Bestand. „An diesen Autos konnte man noch vieles selber reparieren. Das macht stolz”, meint er und streichelt liebevoll den Lack der Modelle. Nur ist heute eben weniger Zeit übrig, um dem Hobby nachzugehen. Bei einem EMW 340 oder dem legendären Tatra 603 würde er allerdings noch mal schwach werden. Doch diese Modelle sind äußerst rar und schwer zu beschaffen.

Mit einem Auto verbindet Fanger besondere Erinnerungen. Seine Eltern Gerhard und Eva kauften sich in den 1960er Jahren einen graphitgrauen Škoda 1000 MB, den Nachfolger des bis dahin im Mittelböhmischen Mladá Boleslav produzierten Škoda Octavia. Wenn der Steppke Joachim in dem gehobenen Spitzenmodell hinten Platz nahm und die Familie mit 45 Pferdestärken über die Straßen schwebte, war er wie in einer anderen Welt. Den Autobesitzern dieser Modelle war allerdings selten zum Lachen. Sie waren seinerzeit von Korrosionsproblemen betroffen. Beim Škoda 1000 MB waren sie jedoch besonders gravierend. Die Fahrzeuge rosteten selbst bei regelmäßiger Hohlraumkonservierung so schnell, dass die Autos den Beinamen „BMSR” bekamen. Diese Abkürzung stand für „Böhmisch-Mährischer Schnell-Roster” und ein Hinweis darauf, dass dieses Auto ab Werk eine rollende Bastelstube war.

Der Klopapierhut auf der Hutablage im Heck gehörte schon fast zur Grundausstattung.

Zu Tränen gerührt war er, als ihm seine Ehefrau Kerstin zum 50. Geburtstag einen mit allen Originalteilen, ohne Rost und mit Originallack versehenen Škoda 1000 MB schenkte. Mit dem über 50 Jahren alten Nummernschild ausgestattet, hat diese Oldtimer seinen Ehrenplatz in der Halle gefunden. Inklusive eines Wackeldackels, der gefühlt in fast jedem zweiten DDR-Auto die Hutablage im Heck bewachte. Und noch etwas gehört zum „Spezial-Zubehör” jedes Oldtimers – die Häkelrolle für Klopapier, die ebenfalls auf der Hutablage Platz fand. Und die ist bei Joachim Fanger so original, dass sich darunter sogar noch Rollen aus DDR-Produktion mit den Sandpapier-Eigenschaften befinden. Alles muss eben detailgetreu an den Autos sein. Und viele Menschen, die mal eines der nostalgischen Fahrzeuge auf den Straßen rollen sehen, kramen in den Erinnerungen und schmunzeln. Besonders bei dem Gedanken, wie sie mit einem Trabi vollbepackt bis zum Balaton in Ungarn düsten. Und stellen sich stets eine Frage: „Wie haben wir das damals nur geschafft, die Campingutensilien und die vierköpfige Familie im Trabi zu verstauen?” Ronald Floum

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