Gedanken- & Spaziergänge im Park: Kein Entrinnen

Man kann ihr nicht entrinnen, sie verfolgt einen vom Morgen bis zum Abend. Ich meine die Bundestagswahl. Wenn ich mit einem Freund spazieren gehe, kommt früher oder später das Thema darauf; gehe ich allein – erinnert mich irgendein Wahlplakat an dieses Thema. In den letzten Tagen war ja das sogenannte Kandidatenduell zwischen Schulz und Merkel. Schon Tage vorher wurde davon berichtet, selbst mein geliebter Kultursender im Rundfunk entblödete sich nicht, zwischen klassischer Musik immer wieder auf das am Sonntagabend stattfindende Duell hinzuweisen. Von wegen Duell! Wenn es ein Duell war, dann war es höchstens ein Duell zwischen vier Journalisten und zwei Politikern. Die beiden „Konkurrenten“ für das Amt des Bundeskanzlers taten sich nicht sehr weh. Mein Eindruck schwankte zwischen zwei Bildern: Das eine war der Eindruck einer etwas genervten, aber letztlich wohlwollenden Mutter gegenüber ihrem pubertierenden und etwas aufmüpfigen Sohn. Das zweite Bild war wahrscheinlich etwas realistischer: Ich hatte den Eindruck, dass Schulz auftrat wie ein von sich überzeugter Bewerber um einen Ministerposten in der nächsten großen Koalition. Ein Duell war es nicht, eher ein Duett, allerdings mit vier Dirigenten. Warum deshalb aber vier Sender das gleiche Programm bringen mussten, bleibt mir ein Rätsel.
Und dann diese vielen, vielen Wahlplakate. Selten findet man dort ein Bild oder einen Text, der einen zum Nachdenken bringt. Niemals einen, der eine vorgefasste Wahlentscheidung zu einer Änderung überzeugen könnte. Anscheinend sind die Wahlplakate nur für die eigene Anhängerschaft zur Ermutigung gedacht. Schöne Wahlplakate gibt es sehr selten. Das schönste ist ein sehr großes Wahlplakat der Linken mit einem Porträt von Sahra Wagenknecht, auf dem sie mit leicht sinnlich geöffnetem Mund verführerisch lächelt. Dieses Bild könnte ich mir auch gut auf einem Mode- oder Erotikmagazin vorstellen. Häufiger sind es aber Bilder und Texte, die einen nachdenklichen Betrachter und gründlichen Leser verwundern lassen. Ich hatte schon die Idee, ob man nicht einen Wettbewerb für das dümmste Wahlplakat machen könnte? Das hätte wenigstens zur Folge, dass die Menschen nicht völlig achtlos an diesen Objekten vorübergehen, wie die meisten es tun. Mir fallen auf Anhieb auch schon Kandidaten für die ersten Preise für das dümmste Plakat ein. Da ist zum Beispiel das Plakat der NPD, das mit einem Bild von Luther und der Aufschrift „Luther würde uns wählen“ für die Partei wirbt. Da könnte man einen Lachanfall bekommen. Schlimm ist nur, dass irgendeine Stelle der evangelischen Kirche das so ernst nimmt, dass sie wegen der Verwendung des Abbildes ihres Gründers dagegen klagen möchte. Das ist ein Witz der besonderen Art, denn dadurch wird eine Albernheit zum Ernst hochstilisiert. Gleich drei besonders auffällige Aussprüche fand ich auf Plakaten der MLPD. Für die, die nicht wissen was diese Abkürzung bedeutet: Marxistischleninistische Partei Deutschlands! Bei dem Adjektiv „marxistisch-leninistisch“ fragt man sich als gelernter DDR-Bürger, aus welchem Jurassic-Park der Politik diese Partei stammt! Aber immerhin haben sie drei preisverdächtige Texte zu liefern. Der erste lautet: „für das Recht auf Flucht“. Nun, ich kann mir keinen wahlberechtigten deutschen Staatsbürger vorstellen, der nicht fliehen könnte, wann oder wohin er auch wolle! Aber warum auch – vor dem Wahlkampf etwa? Ausnahmen sind natürlich diejenigen, die in Gefängnissen eine Strafe absitzen. Kann also nur für diese gelten? Ein weiteres Plakat der MLPD trägt die Aufforderung: „für die Befreiung der Frau!“ Ja, wo leben wir denn? Wenn dieses Plakat einen Sinn haben sollte, dann müsste es vielleicht in Saudi-Arabien und manchem Emirat plakatiert werden! Wäre dort aber lebensgefährlich. Das dritte Plakat dieser Partei verkündet den Alleinvertretungsanspruch: „Protest ist links“. Nun, da scheinen die Autoren einiges versäumt zu haben. Seit Jahren gibt es auch nichtlinke Proteste, wie zum Beispiel die Demonstrationen der Pegida. Aber auch die Montagsdemonstrationen, die zum Untergang der DDR führten, waren alles andere als links. Unter den Wettbewerbern zum Titel „dümmstes Wahlplakat“ befindet sich auch ein Plakat der Grünen/Bündnis 90. Auf ihm steht geschrieben: „Entweder Schluss mit Kohle oder Schluss mit Klima!“ Ja, was ist denn das für eine tolle Erkenntnis! Da habe ich doch die Grünen immer für relativ klug, hin und wieder sogar für intellektuell gehalten und dann solch ein Unsinn. „Schluss mit Klima“ – was soll denn das bedeuten? Klima gibt es immer, solange unser Erdball eine Atmosphäre hat. Es mag kaltes und warmes Klima geben, ein für das Leben auf der Erde förderliches oder schädliches Klima, mit großem oder kleinem Kohlendioxidanteil belastete Luft – aber immer ist Klima, welches auch immer. Das ist nur eine kleine Auswahl der möglichen Preisträger für das dümmste Wahlplakat. Ich könnte mir vorstellen, dass mancher Leser auch noch andere seltsame Blüten entdecken wird, wenn er nicht nur achtlos an diesen Werbetexten vorbeiginge.
Ich jedenfalls werde froh sein, wenn alle diese Plakate wieder zum Altpapier gehören und man nicht von wichtigeren Gedanken durch sie abgelenkt wird. Paul F. Gaudi

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