Gedanken- und Spaziergänge im Park: Gute Bomben, böse Bomben?

Am 16. Januar jährt sich wieder der Tag, an dem Magdeburg großteilig durch ein Flächenbombardement zerstört wurde. Eine Delegation der Stadtpolitiker besucht an diesem Tag den Friedhof, legt Kränze nieder und viele Magdeburger hören am Abend des 16. Januar im Theater die IX. Symphonie von Beethoven. Eine schöne Tradition, die bald nach dem Krieg aufgenommen wurde. Wenn die Konzertbesucher das große Haus verlassen, läuten die Glocken der Kirchen der Stadt zur gleichen Stunde wie damals, als der Bombenangriff begann. Nur nach dem Zusammenbruch der DDR versuchte ein neuer Musikdirektor aus dem Westen diese Tradition zu ändern, aber die Publikumsproteste erreichten, dass weiter die IX. aufgeführt wurde. Und das ist gut so.

Seit einigen Jahren gibt es auch Demonstrationen um diesen Tag herum, die an die Zerstörung unserer Heimatstadt erinnern sollen. Begonnen haben damit rechte Demonstranten. Als Antwort darauf entstanden Demonstrationen, die gegen diese Demonstrationen auftraten. So auch die Meile der Demokratie. Auch in diesem Jahr sind wieder einige Veranstaltungen geplant, Demonstrationen, Lesungen und Konzerte. Das ist gut so, denn damit wird das Andenken an die Opfer des Krieges aufrechterhalten. Das einzige, was mich wundert, dass das erst aufkam, als rechte Demonstrationen aus diesem Anlass begonnen hatten. Die Frage, die ihn mir dabei auftaucht, ist: warum hat man den Rechten dieses Feld des Gedenkens einfach überlassen? Warum machten nicht alle politischen Kräfte eine gemeinsame Demonstration zum Gedenken an die Opfer des Bombenterrors? Und warum macht man nur Demonstrationen gegen eine Demonstration, anstatt ebenfalls eine für die Opfer zu unternehmen?

Oft hört oder liest man den Satz, dass die Rechten die Opfer des Bombenangriffes ja nur „instrumentalisieren“ würden. Nun, das ist so eine Sache. Jede Demonstration instrumentalisiert für oder gegen etwas, ohne dass das eine vordergründige Absicht sein muss. Seit vielen Jahrzehnten findet im Januar in Berlin eine große Demonstration zum Gedenken von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht statt. Aber noch nie habe ich gelesen, dass die beiden berühmten Ermordeten zum Kampf gegen den Faschismus oder zum Kampf für den Sozialismus oder Kommunismus „instrumentalisiert“ würden. Den Instrumentalisierungsvorwurf scheint es offenbar immer nur gegen rechts zu geben.

Aber bleiben wir bei der Zerstörung Magdeburgs. Es war meiner Meinung nach ein Kriegsverbrechen, wie auch die Bombardierung anderer offener Städte im Zweiten Weltkrieg. Auch die beiden Atombombenwürfe auf Hiroshima und Nagasaki muss man als Kriegsverbrechen bezeichnen, da sie auf die Stadtmitte zielten und die Zivilbevölkerung trafen und sehr viele noch heute leiden lassen.

Die Haager Landkriegsordnung von 1899 verbietet den Angriff auf offene Städte, wenn diese nicht von einer Armee besetzt oder zu einer Fes-tung erklärt worden sind. 1922 wurden von Völkerrechtsexperten die Artikel 22 bis 24 auch für den Luftkrieg so definiert: „Das Luftbombardement zur Terrorisierung der Zivilbevölkerung und Zerstörung oder Beschädigung von Privateigentum nichtmilitärischen Charakters ist verboten“. Und: „Die Bombardierung von Städten, Dörfern, Wohnungen und Gebäuden, die sich nicht in unmittelbarer Nähe der Landstreitkräfte befinden, ist verboten.“ Die Bombenangriffe auf große deutsche Städte wie Magdeburg oder Dresden dienten aber vielfach genau der Terrorisierung der Zivilbevölkerung.
Bombardiert wurden ja oft nicht nur kriegswichtige Betriebe, sondern vor allem die Innenstädte. Es gab gewissermaßen „Rezepte“, wie man den größten Schaden anrichten könne. Sprengbomben deckten zuerst die Dächer ab und dann folgten Brandbomben, um den größtmöglichen Brandschaden zu erzeugen. Bei mittelalterlichen Städten mit ihren Fachwerkbauten war das besonders verheerend. So wurden manche Städte förmlich wie ein Ei ausgeblasen, zum Beispiel in unserer Nähe: Halberstadt. Selbst in der DDR galten diese Bombenangriffe als Terrorangriffe und Kriegsverbrechen.

Wenn man darüber spricht, so wird oft erwidert, habe das faschistische Deutschland den Krieg ja begonnen und ebenso Städte bombardiert. Das ist richtig. Aber rechtfertigt ein Verbrechen das gleiche Verbrechen? Es macht es vielleicht verständlich, aber es rechtfertigt es nicht. Rechtfertigt ein Mord den Mord an dem Mörder? Nein. Nicht umsonst wurden in der zivilisierten Welt die Todesstrafen in vielen Ländern abgeschafft. Das Gesetz der Wüste „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ hat keine Gültigkeit mehr. Und getroffen wurden bei diesen Bombenangriffen vor allem Alte, Frauen und Kinder, nicht die wehrfähigen Soldaten!

Gerd erzählte mir einmal folgende Geschichte: Er war vor Jahren auf einer Tagung gewesen, wo über seelische Erkrankungen von Menschen gesprochen wurde, die während und kurz nach dem Krieg noch Kinder bzw. Jugendliche waren. Nach dem Vortrag meldete sich eine deutsche Sozialpsychologin und äußerte im Brustton der Überzeugung, dass das ja die Kinder von Tätern gewesen wären und Deutschland den Krieg ja begonnen hätte. Erschrockenes Schweigen. Da meldete sich eine andere Frau, die erklärte, dass sie eine Jüdin aus den USA sei, deren Eltern zu Beginn der Nazizeit emigriert wären. Und sie sagte: „Diese Auffassung könne sie nicht teilen. Kinder leiden überall gleich, Kinder können nichts für ihre Eltern. Kinder wären immer Opfer, da gebe es keinen Unterschied zwischen Täterkindern oder Opferkindern!“ Es herrschte Betroffenheit und Gerd sagte, dass er sich für die vorherige deutsche Meinungsäußerung richtig geschämt hätte.

Aber diese deutsche Haltung scheint kein Einzelfall zu sein. Ich erinnere mich, dass vor Jahren in Dresden im Februar 2014 zum Jahrestag der Zerstörung Dresdens eine sogenannte Femen-Aktivistin barbusig mit der Aufschrift und den Worten „Thanks Bomber Harris“ demonstrierte. Wie ideologisch verblendet und zynisch muss man eigentlich sein, um angesichts der vielen Tausend Opfer – vor allem Frauen und Kinder – so etwas zu tun und diese zu verhöhnen? Es handelte sich um Anne Helm. Sie war bekannt als Synchronsprecherin für das Schweinchen Babe in dem Film „Ein Schweinchen namens Babe“. Schweinchen mag ja stimmen, obwohl die Verkleinerungsform sehr unangebracht erscheint. Damals war diese Frau Mitglied der Piratenpartei. Seit 2016 gehört sie den Linken an und sitzt für diese im Abgeordnetenhaus Berlins.

Ehrlich gesagt wundert es mich sehr, dass die Linken Frau Helm aufgenommen haben. Die Linke hat ja ihre größte Wurzel in der SED. Und die SED hat diese Terrorangriffe auf eine zumeist fast schutzlose Zivilbevölkerung immer zutiefst verurteilt! Und das mit Recht. In solchen Aktionen scheint im Kern doch wohl eine erhebliche Verachtung oder Feindschaft gegenüber dem deutschen Volk zu stecken. Vielleicht sollte man solchen „Aktivisten und Aktivistinnen“ einmal ein Zitat Ernst Thälmanns zu lesen geben. Es steht in „Antwort auf Briefe eines Kerkergenossen“ (Berlin 1961) und Thälmann schrieb Anfang 1944 in Bautzen: „Mein Volk, dem ich angehöre und das ich liebe, ist das deutsche Volk und meine Nation, die ich mit großem Stolz verehre, ist die deutsche Nation.“

Aber eines anderen Jahrestages möchte ich hier noch gedenken: Im vergangenen Jahr wurde nach 50 Jahren ja oft an die sogenannten 68er erinnert. Da ging es fast immer um das Jahr 1968 in Westdeutschland und es wurde viel gelobhudelt, nicht selten zu Unrecht. Im Osten aber war 1968 die Erstickung des Prager Frühlings durch die Sowjetunion. Eines der Opfer der sowjetischen Invasion war der tschechische Student Jan Palach aus Melnik, der sich in Prag auf dem Wenzelsplatz aus Protest gegen sowjetische Besetzung selbst verbrannte – ebenfalls an einem 16. Januar – aber 1969. Drei Tage später, am 19. Januar ist er dann verstorben. Ich weiß noch heute, wie sehr uns diese Nachricht damals erschütterte, als wir davon im Radio hörten. Das ist jetzt ebenfalls 50 Jahre her und wir sollten Jan Palach nicht vergessen! Paul F. Gaudi

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