Langsamer Leser: „Ihr schei… auf meine Zukunft“

Es ist schon etliche Jahre her. In einem Gespräch mit meinen Söhnen erzählte ich, wie ich als junger Mann, etwa so alt wie meine Söhne zum Zeitpunkt dieses Gesprächs, meinen Vater immer wieder mit Fragen zu seiner Vergangenheit im Krieg konfrontierte. Mit Fragen persönlicher Schuld, die er nicht beantwortete. Ich wusste, dass er auf einem Schnellboot gedient hatte, das im Eismeer die Nordmeergeleitzüge der Alliierten attackierte, die militärisches Material aus den USA und aus Großbritannien in die Sowjetunion brachten. Die Matrosen der torpedierten Schiffe kamen in den eisigen Fluten um. Rettung war nicht vorgesehen. Wie auch, betrachtete man die schnellen, kleinen Angreifer. Ich wusste damals nichts davon, dass er immer noch nachts aus Albträumen aufwachte, die Schreie nicht vergessen konnte. Wir waren in der Beziehung, sicher mangels Wissen und mangels Fantasie, eine ziemlich unbarmherzige Generation. Andererseits fühlten wir uns geprellt um eine wirkliche Aufarbeitung dieser vor unserer Zeit liegenden Zeit unvorstellbarer Grausamkeiten. Die Fragen waren notwendig, entsprangen unserer Angst. Von wegen, es habe in der DDR kein Achtundsechziger-Denken gegeben und auch keine Veränderung der Gesellschaft daraus. Das kann nur behaupten, wer sich selbst der DDR-Provinz ergeben hatte.

Aber das war nur der erste Teil des Gesprächs. Ich begann es, um etwas ganz anderes meinen Söhnen aufzuzeigen. Ich fragte sie – wie gesagt, das ist jetzt mehr als zwanzig Jahre her – wieso sie mich nicht auf die Anklagebank setzten. Meine Generation, so begründete ich das, habe doch völlig versagt im Bezug auf das nächste Generationenthema nach dem Zweiten Weltkrieg, den Klimawandel. „Wir haben davon geredet. Wir gelten als die Spinner, die nicht wahrhaben wollen, dass es immer schon Jahre gab, die kälter oder wärmer waren. Ökospinner. Will sagen, wir haben kaum jemanden erreicht mit unseren Reden. Es ist uns, also meiner Generation, angesichts des drohenden Klimawandels und einer Industrie, deren einziges Ziel die Gewinnoptimierung für einige wenige ohne jeden Blick auf die Welt ansonsten ist, weder gelungen, mit einer einheitlichen Sprache zu sprechen noch eine Sprache zu finden, die den neuen Blick auf die Welt in die Medien drückt, Druck nach Veränderung aufbaut. Nichts.

Ich sehe die hilflosen gewalttätigen Proteste in Genua oder Hamburg. Hilflos? Ja. Weil die Gewalttätigkeit aus Ratlosigkeit entspringt. Wie soll man im Medienzeitalter protestieren, wenn es für Freundlichkeit und Farbigkeit keine Presse gibt? In Hamburg sehe ich eine Polizei – ausgerechnet die des Hamburger Oberbiedermanns, der heute Finanzminister der Bundesrepublik ist – die gewaltbereit und ohne Deeskalationsabsicht in die Schlacht zieht. Härte will die sozialdemokratische Regierung demonstrieren. Man lernt nicht aus der eigenen Vergangenheit, aus der der Noskes und bis heute lehnt Nahles eine Verantwortung der Sozialdemokratie an den Luxemburg/Liebknecht-Morden ab. Wer so mit seiner Vergangenheit umgeht, dem wird die Kraft zum Neuanfang bis ans Ende aller Tage fehlen. Selbst Jugendsuperstar Kevin Kostner, pardon, Kevin Kühnert gelingt es nicht, das Thema ausfindig zu machen, das für die jungen Leute zum Lebensthema wird. Er beklagt, dass die Jugendlichen nicht wütend werden, weil die Rente für sie abgebröckelt wird.

Und plötzlich ist sie da. Erst die einsame Ruferin in der Wüste. Sie macht eine Erfindung, die geradezu genial ist: Den Schulstreik fürs Klima. Freitags wird gegen den Ratschlag der Eltern, gegen die Vorschreibungen der Schule der Unterricht für den Klimawandel geschwänzt. Greta Thunberg sitzt anfangs freitags allein vor ihrer Schule.

Nein, auch SPD-Jungstar Kevin Kühnert hat die Zeichen der Zeit nicht begriffen. Er jammert in einem Interview über die Jugend, die nicht einmal mehr wütend sei, weil ihre Rente ungesichert sei. „Die Jugend“, da sollte Kühnert zuhören, formuliert derweil ihre Lebensangst. Angeführt durch ein mutiges und kluges Mädchen aus Schweden, die inzwischen sechzehnjährige Greta Thunberg, die mit einem starken Selbstbewusstsein Sätze wie diesen sagt: „Man ist nie zu klein, um etwas zu verändern“, die in Davos den Industriemächtigen und deren Politikern zuruft: „Ich will eure Hilfe nicht, ich will nicht, dass ihr voller Hoffnung seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.” Und: "Es gibt keine Grauzonen, wenn es ums Überleben geht." "Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt, denn das tut es".

Die sechzehnjährige Tochter des Schauspielers Svante Thunberg und der Sopranistin Malena Ernman erfand eine kluge Variante des zivilen Ungehorsams, den Schulstreik für ihr Lebensthema, die Verhinderung des Klimawandels. Der Schulstreik als ziviler Ungehorsam bringt die Presse auf den Plan, Greta findet über den Weg der Missachtung ihrer Schulpflicht an einem festen Tag in der Woche, dem Freitag, erst regional, später international Beachtung für ihr Thema. Nicht zuletzt die Dringlichkeit ihrer Sprache, deren Unbedingtheit auch, ließen ihren Bekanntheitsgrad um die Welt galoppieren: „Ich mache das, weil ihr Erwachsenen auf meine Zukunft scheißt.“ Das ist ihre rüde, dafür eindeutige Begründung. Die Dürre- und Hitzewelle 2018 ließ in ihr den Gedanken reifen, am ersten Schultag nach den Ferien statt in die Schule zu gehen, sich vor dem Schwedischen Reichstag mit einem Schild zu platzieren, dessen Aufschrift ihr Programm verkündete: „Schulstreik für das Klima“. Ihrem Protest schlossen sich nach und nach andere schwedische Schülerinnen und Schüler, bald auch solche aus Belgien, Frankreich, Finnland, Dänemark und nun auch Deutschland an. Am 18. Januar streikten etwa 30.000 deutsche Schülerinnen und Schüler. Sie organisieren sich unter dem Hashtag #FridaysForFuture“. Der konservative australische Premierminister Scott Morrison, nachdem die Bewegung auch dort angekommen war, ließ verkünden: „Wir wollen mehr lernen und weniger Aktivismus in der Schule.“ Thunbergs Antwort: „Sorry, Mr. Morrison. Können wir nicht erfüllen.“ Weil Greta Thunberg die Erfahrung macht, dass die, die sie ansprechen will, sie nicht anhören möchten – auch in Davos, als sie endlich sprechen durfte, hatte sie ein von allen Ölbaronen gereinigtes Gremium vor sich – die waren bereits auf dem Heimweg – diktiert sie der Presse Sätze wie: „Ihr sagt, dass ihr eure Kinder über alles liebt. Und trotzdem stehlt ihr ihnen ihre Zukunft direkt vor ihren Augen.“ Deshalb: „Wir können das Handeln nicht mehr den Politikern überlassen.“

Ein Satz in Davos bindet das Engagement der jungen Frau zusammen: „Ich will Eure Hilfe nicht. ich will, dass ihr ohne Hoffnung seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst verspürt, die ich jeden Tag spüre.“ Verstehen Sie? Ab jetzt braucht diese Generation uns nur noch am Rande, vielleicht hier und da für die Logistik, bestenfalls als Sympathisanten.

Kann sein, dass den Altachtundsechzigern, von denen man sich derzeit vor allem gern im nationalliberalen Lager absetzt, die Fantasie abhanden gekommen ist. Das ist sicher schade, aber altersmäßig nicht unbedingt verwunderlich. Außerdem: Niemand macht in seinem Leben zwei Revolutionen. (Sie merken, die zweite, die friedliche Restauration, kann ich nur bedingt dazu rechnen.) Aber nun kommt, scheint es, eine Generation, die wieder stark und fantasievoll zugleich ist, die mit neuen Ideen eine neue Realität schaffen will. Wer will es ihr verdenken, es geht um ihr Leben. „Einige Leute sagen, dass ich studieren sollte, um Klimawissenschaftlerin zu werden, damit ich die Klimakrise „lösen kann“. Aber die Klimakrise ist bereits gelöst. Wir haben bereits alle Fakten und Lösungen. Alles, was wir tun müssen, ist aufzuwachen und uns zu verändern.“ So Thunberg.

Umso hochnotpeinlicher sind die Reaktionen aus der Politik, die offenbaren, dass hier nichts, aber auch gar nichts verstanden worden ist. Die Kinder und Jugendlichen haben diesen Eindruck: Weder der Wirtschaftsminister noch andere hohe Herrschaften haben kapiert: „dass es uns nicht darum geht, die Klimazerstörung zu verhindern, sondern unsere Zukunftszerstörung. Sie zerstören unsere Zukunft.“ Der sachsen-anhaltische Bildungsminister Tullner verweist auf das Schulgesetz und dessen Gültigkeit. CDU-Nachwuchsverbände fordern einen Eintrag der Fehlzeiten ins Zeugnis. Den Spitzenwert bei Umfragen im Bezug auf Zeugniseintragungen halten die Mitglieder der Alternative für Deutschland. Erstaunlich alternativ im Denken, finden Sie nicht auch? Mit dem Begriff der Zukunftszerstörung bringen die Schüler das zentrale Thema in die Politik zurück. Die Blinden aber sehen das Menetekel natürlich nicht. Man kann nur hoffen, dass der begonnene Durchmarsch durch die Institutionen anhält. 

„Wir Kinder tun oft nicht das, was ihr Erwachsenen von uns verlangt. Aber wir ahmen euch nach. Und weil ihr Erwachsenen euch nicht für meine Zukunft interessiert, werde ich eure Regeln nicht beachten.“ (Greta Thunberg ) Ich ziehe meinen Hut vor Euch – und als Sympathisant tauge ich allemal noch. Schließlich habe auch ich Enkel. Ludwig Schumann

Zurück