Römers Reich: Aggressive Mikroaggression

Lesen oder hören Sie heute des Öfteren von sogenannten Mikroaggressionen? Mir geht es jedenfalls so. Wenn Menschen nicht angemessen angesprochen oder benannt werden, könnten sie sich von einem Begriff in ihrer Persönlichkeit verletzt fühlen. Tritt mir niemand zu nahe, würde ich auch keine oder keinen anderen mit Worten verletzen wollen.

Mikroaggressionen ist ein sozialpsychologischer Begriff, der durch den US-amerikanischen Psychiater Chester Pierce schon 1970 entwickelt wurde. Darunter versteht man „winzige, als übergriffig wahrgenommene Äußerungen in der alltäglichen Kommunikation”. Ganz alltägliche Äußerungen können das sein, in denen andere abwertende Botschaften erkennen könnten und die diese auf eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit reduzieren würden.

Ich glaube nicht, dass ein Leben ohne Zugehörigkeiten möglich ist. Alle sind irgendwie mit einer Familie, einer Ethnie, einer Staatszugehörigkeit, einem Verein verbunden oder sind Anhänger  bestimmter Welt- und Wertebilder oder auch nur einer Musikrichtung. Wenn man dies nicht mehr sagen dürfte, sollte man sich besser nirgends engagieren oder für eine Sache eintreten. Würde mich jemand Schreiberling nennen, vermittelt das keine große Sympathie zu meiner Arbeit. Ich könnte es gar als eine Herabwürdigung empfinden. Aber ich bin nun einmal einer, der schreibt. Und das Wort Schreiberling kann ich gut aushalten. Dazu mache ich das einfach schon zulange und musste mir manche Beschimpfung über einen Text gefallen lassen. So ist das mit den Meinungen. Meistens gehen sie auseinander.

Nun frage ich mich, wer sich in Gottes Namen oder in dem von Moral aufschwingt, um anderen vorzuschreiben, wie sie wen oder was angemessen benennen sollten. Kürzlich pflegte ich mit einem ironischen Ausspruch ein Klischee über Verhaltensunterschiede bei Frauen und Männern. Eine Studentin machte mich daraufhin auf mein veraltetes Rollenbild aufmerksam. Um Rollenbilder geht es bei diesen Mikroaggressionen vorrangig. Ich musste – Achtung, jetzt kommt eine gendergerechte Bezeichung – der  weiblichen Studierenden verdeutlichen, dass ihr Einwand aus derselben Wurzel wie mein Spaß käme, nämlich aus einem intellektuell vermittelten Rollenbild. Theorie ist einfach keine Wirklichkeit. Welche Mikroaggressionen löst eigentlich die permanente Zurechtweisung über unkorrekt konstruierte Schreib- oder Sprechfloskeln bei einem Gegenüber aus? Warum wird das nicht angeprangert? Ich dachte, der Anspruch der Sprach-Gerechten verlangt, dass niemand auf seine soziale Entwicklung und seine Gruppenzugehörigkeit reduziert wird. Das, was überwunden werden soll, geistert nun in anderen Sphären. Die Zukunft wird spannend. Mal sehen, wann sich die ersten Diversen von anderen Diversen nicht korrekt angesprochen fühlen. Und was dann? Axel Römer

Zurück