Römers Reich: Nachhaltig neutral

Toll, dass Deutschland bis 2050 klimaneutral wird. Klimaneutral heißt, „ein (nahezu) treibhausgasneutrales Deutschland ist möglich“. So schreibt es das Bundesumweltamt. Vorsichtig setzt man dort das Wörtchen nahezu in Klammern und bleibt in der Formulierung verhalten im Konjunktiv. Klimaneutral ist wirklich ein komisches Wort. Als würde man sich dem Klima enthalten können. Da die Menschheit jedoch angeblich am Abgrund steht, sind auch abgründige bzw. abwegige Bezeichungen erlaubt. Darüber mache ich mir weniger Gedanken.

Ein anderer Fakt bereitete mir kürzlich Kopfzerbrechen. Mit 241,7 Kilogramm pro Kopf Papierverbrauch ist Deutschland Weltmeister unter den G-20-Industrieländern. Insbesondere die Menge an Verpackungen hat sich enorm erhöht. Als Ursache wird die rasante Zunahme des Online-Handels ausgemacht. 769.000 Tonnen Verpackungsmaterial aus Papier, Pappe und Karton waren es 2015. 1996 sollen es 120.000 Tonnen gewesen sein. Theoretisch müssten die Leute viel weniger unterwegs sein und damit Mobilitäts-Emissionen vermeiden. Nun entspricht der deutsche Papierverbrauch – so haben es Fachleute ausgerechnet – einer Waldfläche von rund 40.000 Fußballfeldern. Das scheint mir nicht sonderlich gesund fürs Klima zu sein. So wollen wir auf der einen Seite jede Menge Plastik einsparen und verwenden gleichzeitig immer mehr Zelluloseerzeugnisse. Ob also eine Vermeidung von Treibhausgasen einzig mit einer gewünschten, sogenannten Klimaneutralität einhergeht? Ich weiß es nicht.

Ich habe den Eindruck, dass Wünsche nach mehr Freizeit und ein Verlangen nach höheren Einkommen eher dem Anstieg von Konsum förderlich sind als ihn einzuschränken. Gleichzeitig geht innerstädtisches Leben flöten, weil mehr Zeit vor Bildschirmen verbracht wird. Bei 16- bis 18-Jährigen sind es bereits 58 Stunden pro Woche, mehr als eine Arbeitswoche Stunden hat.

Apropos Arbeit, folgte man der Logik, dass mehr Freizeit und höhere Einkommen den Konsum befeuern, müssten eigentlich längere Arbeitszeiten und sinkende Löhne ein echtes Klimaschutzprogramm sein. Dann wären die Antisozialen wahrscheinlich die besseren Umweltschützer. Das ist natürlich Quatsch, weil andererseits wieder mehr produziert würde. Und wer sollte das dann mit weniger Geld kaufen. Sie merken schon, es ist echt kompliziert, nachhaltig zu sein. Wahrscheinlich entstehen deshalb so komische Begriffsungetüme wie Klimaneutralität. Man steht der Komplexität moderner Lebenswirklichkeit hilflos gegenüber. Ich denke, dass da, wo etwas weggelassen wird, etwas anderes die Lücke füllt. Tragisch ist vor allem, dass sich Menschen nie so verhalten, wie es sich andere gern wünschen. Deshalb kann ich auch nicht einfach einer politischen Seite folgen, sondern bleibe lieber politikneutral und zwar nachhaltig. Axel Römer

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