An der Schule hängt’s

Man lernt nicht für die Schule, sondern fürs Leben. So banal, wie diese alte Weisheit klingt, ist es heute, in Zeiten, in der das Bildungssystem dauerhaft unter Generalkritik steht, leider nicht mehr. Alles zerrt an Schule, Schülern und Lehrern. Was Lernen wirklich braucht, ist Ruhe, Fleiß und Interesse. Doch die Debatte um Bildung erlebt eine Klimaerwärmung wie nie zuvor.

Ohne Schulabschluss sind die Aussichten für die Zukunft trübe. 2.000 Schulabsolventen haben 2018 in Sachsen-Anhalt nicht einmal einen Hauptschulabschluss geschafft. Lernversagen, Stundenausfall, Lehrermangel – Bildungsmisere heißt das Schlagwort, das vielmündig durch die Gesellschaft klingt. Folgt man der Hyper-Kritik am System Schule und solcher über Lernkonzepte erhält man den Eindruck, als zöge landauf, landab überall Dummheit ein. Was muss eigentlich an der Bildung unseres Nachwuchses kritisiert werden? Spricht jemand über die gestiegenen Anforderungen? Und damit ist gemeint, wie vielseitig auf Pädagogen, Didaktik und Schüler eingewirkt wird.

Schule ist zunächst ein Ort, den jeder auf seine Weise absolviert und erlebt hat. Schon aus den eigenen Erfahrungen heraus kann eben jeder mitreden. Und am schlimmsten hört sich der Tadel aus den Mündern der höheren Generationen an, die vom Lebensalter her am weitesten von der Schulbank entfernt sind. Häufig pochen solche Vertreter auf die eigenen Leistungen während ihrer allgemeinen Lernzeit, und man erhält den Eindruck, als wäre Unterricht heute ein reiner Spaziergang, bei dem man nach Wünschen und Gutdünken Fächer und Stoffe abwählen und vermeiden könnte. Nicht alles, was einst lebensnotwendig war, muss heute vermittelt werden. Wenn es um Grundfesten wie Rechnen, Schreiben und Lesen geht, um naturwissenschaftliche Grundlagen und kulturelle bzw. historische Fundamente, darf man an keiner Stelle Abstriche gemachen. Auch in Zukunft wird kein Mensch Herausragendes leisten können, wenn das Rüstzeug fürs Denken, Entwickeln und Lösen fehlt. Lebensbewältigung fällt eben nicht aus dem Computer, sondern ist unmittelbar und untrennbar mit der Realität verknüpft.

Es sind andere Aspekte, die hervorgehoben werden müssen, blickt man auf die Bildungsapparate. Im Jahr 2014 gab es in Deutschland 554.882 Studienanfänger. Die Quote über alle Schulabsolventen lag damit bei 58,3 Prozent. Im Jahr 2006 betrug die Quote über alle Studienberechtigten noch 43,3 Prozent. Übrigens betrug der Anteil 1950 gesamtdeutsch betrachtet nur 5 Prozent. Am Ausgang der Hoch- und Fachschulen standen im Jahr 2017 in Deutschland 501.734 Studienabsolventen (2014: 313.796). Die Studienabsolventenquote lag damit bei 31,7 Prozent. 2006 waren es dagegen noch 220.782 Absolventen mit einer Quote von 22,2 Prozent gemessen an allen deutschen Abschlüssen. Aus den Zahlen wird ersichtlich, dass der Trend einer Akademisierung in Deutschland weiter geht. Indes stöhnt der Arbeitsmarkt über fehlende Fachkräfte im Handwerk und Dienstleistungsgewerbe. Der Ruf nach mehr, besserer und höherer Bildung, der überall ertönt, schafft offenbar eine Schieflage am Arbeitsmarkt.

Offenbar wird also die Kluft zwischen gut oder gar Übergebildeten und jungen Menschen ohne Abschluss größer. Wo finden wir am Ende der Ausbildungszeit und vor allem nach erfolgreichem Studienabschluss die Mehrzahl der Absolventen? Glaubt man den Einschätzungen mancher „Experten“ fehlten sie in technischen Bereichen. Dafür häuften sich die Absolventen mit geisteswissenschaftlichen Abschlüssen. Kürzlich kritisierte ein ehemaliger Hochschullehrer für Didaktik die quantitative Zunahme pädagogischer Theorie, die aufgrund ihrer Forschungsarbeit unablässig auf das Schulsystem einwirkt und meint, ständig neue Konzepte zur Verbesserung des Lernens entwickeln zu können.

Schule ist zu einem gigantischen Experimentierfeld avanciert. Hier versuchen sich Wissenschaftler aller pädagogischen Bereiche, genauso wie Politiker, die wohlmeinend alles und jeden fördern wollen. Außerdem mischen sich Gewerkschaften, Eltern und Schülervertretungen maßgeblich in alle Bildungs- und Unterrichtsabläufe ein. Die Einwirkungsqualität aus allen gesellschaftlichen Bereichen ist derart angestiegen, dass man annehmen muss, dass pädagogisches Personal und Schüler gleichsam darunter leiden. Am Ende werden sie es eben niemandem recht machen können.

Dass Lernen – egal, welches Lehrkonzept eingesetzt wird – grundsätzlich Einsatz und Mühe für Lehrer und Schüler bedeutet, dürfte nicht extra betont werden. Ohne Fleiß kein Preis – an dieser alten Weisheit hat sich nichts geändert. Was aber entschieden anders geworden ist, ist die Einwirkung auf junge Köpfe durch Medienkanäle. Vor allem Unterhaltung, Helden und Vorbildvermittlung der Medienwelten entsprechen weniger den realen Bedingungen. Auch für die beste Schule gleicht die Konkurrenz zwischen der Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten mit den Bildschirmwelten einem Kampf gegen Windmühlenflügel. Medien wirken immer intensiver auf Kinder und Jugendliche ein. Die Kritik gegenüber einer wachsenden Illusionsvermittlung sollte eigentlich größer sein, als die gegenüber den Schulen. Thomas Wischnewski

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