Armaturen aus Magdeburg Teil 1

Ein geschichtlicher Abriss

Die Stadt Magdeburg nahm ab Mitte des 19. Jh. einen starken wirtschaftlichen Aufschwung. Hatte sie nach den Freiheitskriegen (1813 bis 1815 gegen Napoleon l.) etwa 23.000 Einwohner und einige 1.000 Mann Militär, so stieg die Einwohnerzahl um 1850 durch den Zustrom von Arbeitern aus dem Umland und durch Eingemeindungen umliegender Ortschaften auf etwa 62.400, im Jahr 1871 auf deutlich über 114.500 und 1890 auf 202.000 Personen. Magdeburg wird eine Großstadt, die weitere Menschen anzieht.
Im Jahr 1886 gab es in Magdeburg 43 Maschinenfabriken und 8 Betriebe, die Dampfkessel herstellten. Im Zeitraum 1823 bis 1899 sind über 38 Maschinenfabriken nachweisbar, die eigene Gießereien betrieben. Buckau galt dabei als Hauptzentrum des Maschinenbaus in Deutschland.
Über die facettenreiche Industriegeschichte von Magdeburg berichtet anhand ausgewählter, einst bedeutsamer Unternehmen, das Sachbuch „Der Maschinen- und Anlagenbau in der Region Magdeburg zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ (ISBN  978-3 935831-51-2). Ein hochkarätiges Autorenteam widmet sich umfassend der Industriegeschichte. Der nachfolgende Beitrag reflektiert die über 150-jährige Armaturenbau-Geschichte.

Bernhard Schäffer (1823-1877)

Die Geschichte des deutschen Armaturenbaues begann vor über 150 Jahren in Magdeburg und wurde durch besonders günstige Standortvorteile in der Region angekurbelt. Magdeburg, die alte deutsche Kaiserstadt unter den Ottonen, Mitglied der Hanse und bedeutender Handelsplatz im Mittelalter, Preußens stärkste Fes-tung, wurde nun als Hauptstadt der preußischen Provinz Sachsen zu einem der großen Zentren des deutschen Maschinenbaues. Sie rückte gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts im Verlauf von nur zehn Jahren vom 15. auf den 7. Platz der deutschen Großstädte auf, noch vor Frankfurt a. Main und Hannover.
Wohl einmalig am Standort Magdeburg war bereits Mitte des 19. Jh. die Ausprägung einer sehr armaturenintensiven Industrie- und Verkehrsstruktur,
• einerseits gerichtet auf die traditionelle Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, insbesondere Zuckerrüben, mit allein ca. 20 Zuckerfabriken in Magdeburg und seinen Vororten,
• andererseits auf den Maschinenbau mit der Maschinenfabrik, der bereits 1838 gegründeten „Magdeburger Dampfschifffahrts-Compagnie", dem seinerzeit nach der Lokomotivfabrik Borsig Berlin zweitgrößten Industriebetrieb in Preußen und weiteren sechs bedeutenden Maschinen- und Apparatebau-Unternehmen, die sich auf den rasch wachsenden Markt für Dampfkessel, Dampfmaschinen und Ausrüstungen für Zuckerfabriken, Brennereien und Brauereien spezialisiert hatten.
• Schließlich sei noch das Verkehrswesen mit den vier wichtigen von Magdeburg ausgehenden Eisenbahnlinien (z.B. nach Leipzig, Berlin und Hamburg) genannt. Besonders an den großen Lokomotivbestand und die Betriebswerkstätte, aber auch an den Neubau und Betrieb zahlreicher Dampfschiffe, knüpften sich die besonderen Erwartungen für den Einsatz des robusten Patentmanometers.

Christian Friedrich Budenberg (1815-1883)

Die richtige Beurteilung der Geschäftslage veranlasste Bernhard Schäffer und Christian Friedrich Budenberg 1850 zur Gründung eines Unternehmens. Wie so oft in jener Zeit, war die eigentliche Gründungsurkunde eine Patentschrift. In diesem Fall handelte es sich um das Plattfeder-Manometer, das sich Bernhard Schäffer 1850 patentieren ließ und das alsbald, wenn auch zunächst über den Umweg England, seinen Siegeszug in Deutschland und in die Welt antrat. Ihr Etablissement, die „Mechanische Werkstatt", zielte auf eine neue Spezialbranche, die sich mit der Herstellung von „Manometern und anderen Armaturgegenständen“ beschäftigte.

Wie das Preisverzeichnis vom 1. Januar 1866 verdeutlicht, schloss diese Spezialisierung alle Zubehörteile für Dampf- und andere Maschinen sowie Dampfkessel ein, wie es dann auch treffend bei der Umfirmierung in „Maschinen- und Dampfkessel-Armaturenfabrik" zum Ausdruck kam und prägend für die Zukunft wurde.
Der erfolgreiche Aufstieg von „Schäffer & Budenberg" rief vor dem Hintergrund einer stürmischen Entwicklung des Maschinenbaus naturgemäß die Konkurrenz auf den Plan. So finden wir in den folgenden Jahrzehnten bis zur Jahrhundertwende noch weitere 14 Handelsregistereintragungen über Armaturenfirmen, deren bedeutendste nachfolgend genannt seien:
• 1864 die „Maschinen-und Armaturenfabrik" von C. Louis Strube,
• 1868 die „Maschinen-und Armaturenfabrik" von Koch, Bantelmann & Paasch, später „VAKOMA" Vakuumpumpen und Kompressoren-Bau,
• 1873 die „Metallgießerei und Armaturenfabrik" von Heinrich Jürgens & Co., die 1885 von Eugen Polte übernommen und als „POLTE Armaturen- und Maschinenfabrik" erfolgreich weitergeführt wurde,
• 1873 die Maschinenfabrik „Eisen und Metallgießerei" von Richard Langensiepen, 1904 verlagert nach St. Petersburg, Russland,
• 1883 die „Maschinen- und Dampfkesselarmaturenfabrik" von Wilhelm Strube.

Um 1900 fanden in den vorgenannten und weiteren fünf kleineren Armaturenbetrieben etwa 4.000 Menschen Lohn und Brot. Vier Fabriken hatten bis dahin ihre Aktivitäten eingestellt.

Plattfeder-Manometer, Patent erteilt 1850 an Bernhard Schäffer

Magdeburg hatte sich zum Zentrum der deutschen Armaturen- und Messgeräteindustrie und Schäffer & Budenberg zu einem Weltunternehmen entwickelt. Niederlassungen, Vertretungen und Generaldepots befanden sich in allen wirtschaftlichen Zentren Deutschlands, Europas und in Übersee. Armaturen und Messgeräte aus Magdeburg bewährten sich weltweit im Dampfmaschinen-, Lokomotiv- und Schiffbau, in Industriebetrieben, in Kraftwerken, in der chemischen Industrie, im Bergbau ebenso wie in Talsperren, auf den Erdölfeldern, in Raffinerien und in den kommunalen Versorgungsnetzen der Großstädte. Der hohe technische Entwicklungsstand zeugte von dem ingenieurtechnischen und handwerklichen Können ihrer Erbauer.

„Die rastlose Arbeit und der Fortschrittswille unserer Techniker", wie der damalige Leiter der Patentabteilung von „Schäffer & Budenberg" 1941 bilanzierte, „wird nachhaltig belegt durch 1.000 registrierte Erfindungen seit Gründung des Unternehmens, für die 200 Patente und 150 Gebrauchsmuster zuerkannt werden konnten.“ Ohne das vergleichbare Zahlen vorliegen, wissen wir, dass die Verkaufserfolge auch der anderen Unternehmen wie „POLTE" und „STRUBE" wesentlich durch neue Erzeugnisse mit technischen Vorzügen bestimmt wurden. Obwohl es Programmüberschneidungen bei den Magdeburger Unternehmen gab, hat der hieraus resultierende Wettbewerb zweifellos den technischen Fortschritt beschleunigt. Andererseits zeichnete sich schon frühzeitig die Spezialisierung auf Armaturen für bestimmte Zielgruppen und Anwendungsbereiche ab, in denen nachhaltig die Marktführerschaft errungen werden konnte.

„Schäffer & Budenberg" hatte sich neben seiner enormen Programmfülle systematisch auf die Hochdruck- und Heißdampfanwendung konzentriert und war auf diesem Gebiet weltweit führend. Unbestritten war auch die Marktführerschaft bei den Messgeräten. In den 20er bis 40er Jahren des 20. Jahrhunderts gehörte „S&B" zu den Wegbereitern der Prozess- und Anlagenautomatisierung. Die klassischen direkt anzeigenden und schreibenden Druck-, Vakuum-, Temperatur-, Kraft-, Drehzahl- und Mengenmessgeräte konnten nun, aufgerüstet mit modernen Starkstrom-Kontaktvorrichtungen, für die Fernmessung, -Überwachung und -Steuerung und in einfachster Weise auch für eine vollkommene selbsttätige Betriebsregelung verwendet werden. Es folgte die Entwicklung und Anwendung der modernen galvanometrischen, also elektrischen, Messtechnik mit den neuartigen Ortex-Anzeige-, Schreib-, Steuer- und Regelgeräten in Flachprofil-Bauweise, mit hoher Genauigkeit und den entsprechenden Spannungs- und Widerstandsgebergeräten (Thermoelementen, Widerstandsthermometern und -ferngebern zur Übertragung der messbaren Stellungsänderungen), die die Entwicklung der Prozessleittechnik maßgeblich beeinflussten.

Bei „POLTE" waren es, wenn wir den traditionellen und bedeutenden Zweig der Herstellung von Geschossen, Geschosshülsen sowie der Maschinen zu ihrer Herstellung außer Acht lassen, patentierte Feuerlösch- und Trinkwassersysteme sowie Groß- und Spezialarmaturen für Talsperren, Hochöfen, Wasser- und Gasnetze sowie für die Öl- und Chemieindustrie. „STRUBE" richtete seine Hauptaktivitäten auf Lokomotiv- und Schiffsarmaturen, Sicherheitsventile, Pumpen und Funkempfänger. Bei „Koch, Bantelmann und Paasch" standen Dampfmaschinen, Luftpumpen und Kompressoren, Duplex-Dampfpumpen und Armaturen für Zuckerfabriken im Vordergrund.

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