Die Renaissance einer Stadt

Unmittelbar nach der in der deutschen Geschichte einzigartigen friedlichen Revolution träumten viele Noch-DDR-Bürger davon, bald ihre heimatlichen Fußballvereine als erfolgreiche Mitspieler in den bundesdeutschen Profiligen erleben zu dürfen. Doch erstmal gab es eine hochmütige und arrogante Zurückweisung: Im Frühjahr 1990 verwarf der spätere DFB-Präsident Egidius Braun solche Überlegungen. Eine gemeinsame Liga werde es sobald nicht geben, gönnerhaft hieß es jedoch: „Aber wir helfen den Vereinen drüben. Wir schicken Bälle und Netze“. Man kann sich ausmalen, welche weltfremden Vorstellungen sich der Mann vom ostdeutschen Fußball im Speziellen und vom Osten im Allgemeinen machte.

Als der gemeinsame Verband dann doch kam, verflog die Euphorie jedoch auch bei den Fans schnell. Kaum ein Verein konnte sich in den Spitzenligen halten. Sportlich und wirtschaftlich folgte für die ostdeutschen Klubs ein Fiasko nach dem anderen. Im Endergebnis wurde die erste Bundesliga wieder eine geschlossene Gesellschaft der alten Bundesländer. Besonders schmerzlich war dieser Niedergang in Magdeburg zu erfahren, wie alle Fußballfreunde in der Stadt wissen.

Das Auseinanderklaffen von Anspruch und Realität hat viel Ähnlichkeit mit dem Dämpfer, den die Vereinigungseuphorie damals insgesamt erhielt. Bekanntlich stellten sich nicht sofort blühende Landschaften ein. Das viele Positive, dass sich mit der Wende verband, wurde überschattet von Massenentlassungen, Deindustrialisierung und Abwanderung. Was seinerzeit binnen weniger Jahre erwartet wurde, musste stattdessen mit harter Arbeit, viel Anstrengung und zahlreichen Rückschlägen in nunmehr drei Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung erkämpft werden. Und es bleibt noch eine große Wegstrecke zurückzulegen.

Gerade Magdeburg und Sachsen-Anhalt hatten es dabei nicht einfach. Im Fokus standen erst einmal andere Metropolen der neuen Bundesländer, die berühmten Leuchttürme. Das schlug sich bei Unternehmensansiedlungen und den Infrastrukturinvestitionen des Bundes nieder. Trotzdem hat sich die Stadt mit Fleiß hochgearbeitet. Bei den Zukunftsindikatoren sieht es gut aus, die Bevölkerung wächst und längst hat man die Stadt auch wieder überregional auf dem Schirm.

Die Entwicklung des 1. FC Magdeburg mit seinen im Vergleich zu den Jahren in der Regionalliga Nordost verdreifachten Zuschauerzahlen ist also ein getreuliches Abbild des Wandels in seiner Heimatstadt. Überdies können sich ein erfolgreicher Fußballverein und eine dynamische Stadt gegenseitig Impulse geben. Unzweifelhaft ist ja, dass Wirtschaftskraft der Heimatregion und sportlicher Erfolg im Profifußball in einer engen Verbindung stehen. Gleichzeitig wird der Name Magdeburg in der Berichterstattung viel häufiger zu hören sein. Viele, die von der Landeshauptstadt kaum eine Idee haben oder deren Vorstellung von Magdeburg kaum über die üblichen Nachwendeklischees hinausgeht, werden nun etwas anderes mit ihr verbinden.

Der Aufstieg des 1. FC Magdeburg ist eben nicht nur ein sportliches Ereignis. Sondern auch das sichtbare Zeichen der Renaissance einer Stadt, die auf eine große, reiche und dramatische Geschichte zurückblicken kann und in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch unterbewertet ist. Langsam setzt nun der Bewusstseinswandel ein. Und zwar nicht nur bei Auswärtigen, die die Geschicke der Ottostadt verfolgen. Auch die Magdeburger selbst können und sollten selbstbewusster auf ihre Region blicken. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Verein in der zweiten Liga sportlich so beharrlich und unerschütterlich bewährt wie die Stadt im Städteranking vorankommt. Auch das ist eine Herausforderung. „Das nächste Spiel ist immer das schwerste Spiel!“, so Sepp Herberger. Aber eben in einer anderen Liga. Prof. Dr. Markus Karp

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