Ehe – woher und wohin?

Die Ehe ist tief in unserer Kultur verankert. Dennoch sinkt deutschlandweit die Zahl verheirateter Paare. Das hat Auswirkungen auf die Gesellschaft. Außerdem löst sich die Liebe für ein ganzes Leben darunter auf.
Die Liebe sollte der wichtigste Grund sein, warum zwei Menschen einen Bund fürs Leben eingehen. Aber wie ist die Ehe eigentlich entstanden? Dazu gibt es in der Anthropologie durchaus unterschiedliche Interpretationen. Manche Forscher betonen einen sozial-ökonomischen Aspekt, andere wiederum vermuten durchaus biosoziale Schwerpunkte, bei denen sich ein monogames Artverhalten ausdrückt. Wahrscheinlich ist irgendwie von allem etwas dabei. Und folgte man religiösen Vorstellungen, müsste auch noch eine höhere Macht als Ausgangspunkt der Ehe angeführt werden. Unbestritten ist jedenfalls ein tiefgreifender Wandel der Partnerbeziehungen zueinander als auch die Bedeutung der ehelichen Verbindung insgesamt. Weltweite ethnische, kulturelle und rechtliche Unterschiede können hier nicht im Einzelnen betrachtet werden. Hier sei zunächst nur eine deutsche Brille mit weitestgehend europäischen Kulturwurzeln aufgesetzt.
Die Statistik spricht eine deutliche Sprache und so nehmen die Eheschließungen in deutschen Landen kontinuierlich ab. Waren es 1950 noch über 750.000, so wurde im Jahr 2013 mit 373.655 Eheschließungen der absolute Tiefpunkt seit der statistischen Erhebung erreicht. Seither schwanken die Zahlen um die Anzahl von gut 400.000 Hochzeiten pro Jahr. Darin sind auch solche Ehen enthalten, die nach Scheidungen neu geschlossen wurden. In der Landeshauptstadt ist die Entwicklung ähnlich: Gab es bis 2000 noch rund 1.000 Trauungen, sank die Zahl später auf unter 900. In den vergangenen drei Jahren stiegen die Heiraten wieder auf über 900 an. Insgesamt nahm aber die die Zahl der Verheirateten in der Stadt weiter ab. Sie sank von 132.209 im Jahr 1993 auf aktuell 90.720 (2016).
Das Ritual der Trauung ist letztlich nur der symbolische Moment für das Eingehen einer gegenseitigen Verantwortung. Liebende Gefühle füreinander werden heute mehrheitlich als Ausgangspunkt für eine rechtlich-verbindliche Partnerschaft angegeben. Das war nicht immer so. Schließlich deutet in der Menschheitsgeschichte vieles daraufhin, dass zunächst eine elterliche Zuordnung für die Fürsorge der Nachkommen im Vordergrund stand. Mit Sesshaftigkeit und Anhäufung persönlicher Besitzstände wurde auch der Vererbungsaspekt wichtiger. In Sozialwissenschaften wird heute oft die benachteiligte Stellung der Frau innerhalb der Ehe in vergangenen Jahrhunderten betont. Das ist aus heutiger Sicht natürlich richtig, aber damals war die Bindung für Frauen mehrheitlich eine Versorgungssicherheit, wenn auch meistens in wirtschaftlicher Abhängigkeit und einseitiger Lastenverteilung. Das galt jedoch vorrangig für höhere Stände. Menschen, die in absoluter Armut und Besitzlosigkeit – vielleicht sogar in Leibeigenschaft – existierten, mussten sich gemeinsam um den Lebensunterhalt kümmern.
Die Stellung der Frau in der Ehe hat sich im vergangenen Jahrhundert grundlegend verändert. Allerdings leben vorrangig in den sogenannten alten Bundesländern mehr weibliche Partner eine klassische Ehe, bei der Männer oft als Alleinverdiener agieren und Frauen in die Hausfrauenrolle schlüpfen. Eine bessere flächendeckende Kinderbetreuung kann das ändern. Da laufen die Westländer dem Osten aber noch lange hinterher. Um die Deutung der Ehe wird heute vielfach gestritten. Erst im vergangenen Jahr wurden gleichgeschlechtliche Partnerschaften der klassischen Mann-Frau-Verbindung rechtlich gleichgestellt. Hier baut sozialer Fortschritt kurioserweise auf das Konzept traditionsreicher Wurzeln.
Individualisierung, Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, wirtschaftliche Eigenständigkeit und mehr Chancen für Partnerauswahl werden hier als Triebkräfte aufgeführt. Aber das Zurückgehen ehelicher Verbindungen hat Auswirkungen auf das gesellschaftliche Gesamtgefüge. In Zeiten vor dem Sozialstaat war gegenseitige Verantwortung innerhalb von Familien eine Überlebensnotwendigkeit. Nachwuchsfürsorge und Hilfe bei Krankheit und Pflege wurden in den Familien selbstverständlich gelebt. Der heutige Sozialstaat bietet hier einen solidarischen Ausgleich. Allerdings muss dabei bedacht werden, dass weniger eheliche Verbindungen höhere Lasten der Solidargemeinschaft erzeugen. In Familien werden häufig mehr Betreuungsund Pflegeleistungen erbracht als dies bei alleinlebenden und kinderlosen Menschen möglich wäre.
Da Ehen meistens wegen emotionaler Verletzungen geschieden werden, löst sich ein anderes Phänomen auf. In jahrzehntelangen Partnerschaften erleben Menschen die Bedeutung eines gemeinsamen Lebens viel tiefer als in kürzeren Ehen. Wer dem Spruch „…bis dass der Tod Euch scheidet“ Erfüllung schenkt, erfährt wie wertvoll die Überwindung schwerer Zeiten und Krisen füreinander sein kann. Dies ist mit Sicherheit ein wundervolles Fundament für im Alter erlebte Zuneigung und Liebe in der Partnerschaft. Man könnte sagen, dass sich erst dann die erhoffte Liebe für ein Leben erfüllt. Thomas Wischnewski

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