Salongeflüster: Wahlverlierer

Es gibt ja Kunden, denen ich schon beim Betreten meines Salons ansehe, dass sie Probleme haben, die weit über Spliss, zu dünnes oder zu fettiges Haar hinausgehen. Gerade jetzt, in der Zeit kurz vor der Wahl, merke ich das. Die einen kommen selbstbewusst hereingestürmt, wissen, was sie wollen und können sich auch ohne großen Tiefgang an sich selbst erfreuen. Die haben ein eingebranntes Grinsen und wissen aus mir unklaren Gründen, dass sie sicher gewählt werden. Wenn nicht, dann haben es andere verbockt und wenn sie hellblau sind, dann wird auch gerne von einer allgemeinen Weltverschwörung gegen sie gefaselt, als ob die Welt nichts besseres zu tun hätte. Andere kommen mit dem Fahrrad und fragen nach veganem Shampoo, als ob ich tote Tiere in meinen Pflegeprodukten verstecken würde. Außerhalb der Wahlzeit sehe ich sie mit dem SUV beim Drive-In halten und sich mit eher ungesunden Fleischabfällen vollstopfen. Dabei schauen sie aber ängstlich herum, ob ihre Wähler sie sehen. Denn dann ist es ein Notfall für die arme alte Schwiegermutter, die einer Hamburger-Infusion bedarf. Die Liberalen sind für alles und gegen nichts oder umgekehrt, Hauptsache die Freiheit wird nicht beschränkt: Beim Autofahren, beim Essen, bei der Steuerersparnis für die Internetriesen und was sonst so mit Freiheit eigentlich nichts zu tun hat. Die Konservativen wollen erhalten, aber auch ändern, damit es wieder so wird, wie es früher war, als es noch gut war. Gut war es zwar nie, aber es reicht, wenn es mal war, dann kann es doch auch wiederkommen, weil es war. Oder hätte sein können oder so. Die Linken wollen enteignen, außer sie sind gerade an der Regierung, dann doch nicht, also theoretisch schon. In der Theorie sind sie Klasse, Arbeiterklasse, in der Praxis eher Wohlstandskinder, die gerne rebellisch wären, dann aber lieber doch die pflegeleichte Frisur nehmen. Und dann kommt es hereingeschlurft, Kopf gesenkt, die Stimme brüchig. Auf die Frage nach der Frisur bricht die armselige Gestalt völlig zusammen. „Damen oder Herrenschnitt?“, frage ich diensteifrig. „Divers“, kommt es zurück. Sie wollen und können sich nicht entscheiden. Der Kevin hätte es ja auch nicht so ernst gemeint mit der Enteignung, sie wollten doch nur in Ruhe gelassen werden. Gerne zweistellig, aber nicht zu viel, denn dann müsse man ja Verantwortung tragen und das könne doch keiner wollen. Warum tretet ihr dann an? Das sozialdemokratische Etwas schaut mich an. Und dann weint es sehr lange. Ich lasse es im Stuhl wimmern und kümmere mich um die anderen Kunden. In diesem Sinne: Der Nächste bitte.

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