Vom Veloziped zum Fahrrad

200 Jahre Fahrrad: Seit der Erfindung 1817 hat sich der „Drahtesel“ von einer zweirädrigen Laufmaschine zum massentauglichen Individualverkehrsmittel sowie innovativen Sport- und Freizeitgerät entwickelt.
Bahnrad, Bonanzarad, BMX-Rad, Cruiser, Faltrad, Fixie, Kunstrad, Lastenfahrrad, Liegerad, Mountainbike, Rennrad, Radballrad, Tandem, Tourenrad, Trekkingrad, Trialbike, Triathlonrad … Und die Liste ließe sich noch problemlos ausweiten. Was diese Fortbewegungsmittel eint, ist die Tatsache, dass sie mit zwei Rädern ausgestattet sind und durch Muskelkraft angetrieben werden. Das war bereits vor 200 Jahren so, als das Fahrrad – beziehungsweise sein naher Verwandter – erfunden wurde. Zwei Räder + Muskelkraft = Fortbewegung.
Zwar erfolgte der Antrieb damals ebenfalls mit den Beinen, allerdings anfangs nicht durch das Treten der Pedale, sondern durch eine Laufbewegung. Am 12. Juni 1817 unternahm der badische Forstbeamte Karl Drais in Mannheim die erste dokumentierte Fahrt mit der von ihm erfundenen Laufmaschine – der Urform des Fahrrads. Die nach ihm benannte Draisine war das erste lenkbare, mit Muskelkraft betriebene Fortbewegungsmittel aus Holz, wog etwas mehr als 20 Kilogramm und hatte Räder mit Eisenreifen, die in ihrer Größe den heute gängigen Standards entsprechen. Etwa 15 Kilometer pro Stunde konnte man mit dem Gefährt auf ebenem Gelände erreichen. Die Idee sei vom Schlittschuhlaufen gekommen, heißt es im „Badwochenblatt für die Großherzogl. Stadt Baden“ von 1817 und liege dem Gedanken zugrunde, sich auf Rädern sitzend, mit den Füßen abstoßend fortzubewegen.
Drais‘ Laufmaschine war mit einer Reibbremse am Hinterrad und mit abklappbaren Parkstützen ausgestattet. Der zum Zeitpunkt seiner Erfindung 32-Jährige Freiherr – den Adelstitel legte er 1849 per Zeitungsanzeige nieder – plante zudem Sonderanfertigungen wie etwa höhenverstellbare Laufmaschinen, Zweierlaufmaschinen (ähnlich einem Tandem) sowie dreirädrige Draisinen mit einem zusätzlichen, zwischen den beiden Vorderrädern installierten Sitz für Damen. Für seine Erfindung erhielt der 1851 in Karlsruhe verstorbene Drais ein Großherzogliches Privileg in Baden, ein Patent in Preußen und ein Brevet in Frankreich. Die Nutzung blieb jedoch für viele im wahrsten Sinne des Wortes ein Balanceakt, weil das Gleichgewicht beim Antrieb mit den Füßen gehalten werden musste, und eine holprige Angelegenheit, da die Straßen damals nicht so gut ausgebaut waren.
Die weitere Entwicklung des Velozipeds (lateinisch: velox = schnell, pes = Fuß) fand technisch und auch sprachlich zu einem späteren Zeitpunkt statt. Ende des 19. Jahrhunderts kam im deutschsprachigen Raum der Begriff „Fahrrad“ auf, nachdem diverse Personen mit unterschiedlichen Ansätzen Systeme entwickelt hatten, bei denen die Kraft nicht mehr durch das Abstoßen der Füße auf den Boden, sondern über Pedale auf die Räder übertragen wurde.
So kam der Deutsche Philipp Moritz Fischer auf die Idee, am Vorderrad der Laufmaschine eine Tretkurbel anzubringen, jedoch stieß er mit dieser Entwicklung auf wenig Interesse. Auch die Franzosen Pierre Michaux und Pierre Lallement erfanden – angeblich unabhängig voneinander – das Zweirad mit Tretkurbel. Michaux gelang im Gegensatz zu Fischer jedoch der Durchbruch 1867 auf der Weltausstellung in Paris. Für einige Jahre wurden daraufhin in den ersten Fahrradfabriken in Paris zahlreiche Kurbelholzräder hergestellt. Die Entwicklung und Produktion kam jedoch aufgrund des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/1871 zum Erliegen.
Um das Tempo der Fortbewegung mit dem Gefährt zu erhöhen, wurde in England das Hochrad entwickelt. Aufgrund der direkten Befestigung der Pedale am Vorderrad erwies sich ein größerer Durchmesser des Rades als effizienter, da mit gleicher Pedalkurbeldrehzahl eine höhere Geschwindigkeit erreicht bzw. pro Pedaltritt eine längere Strecke zurückgelegt werden konnte. Ein Tempo jenseits der 40-Stundenkilometer-Marke war mit dem Hochrad möglich. Jedoch war das Aufsteigen eine Kunst für sich und das Fahren mit dem Gefährt, dessen Vorderrad einen Durchmesser von mindestens 1,5 Meter hatte, ein Balanceakt, der häufig in Unfällen resultierte und aufgrund der großen Fallhöhe schwere Verletzungen nach sich zog.
Als sichere und schnellere Variante entstand in der Folge das Niederrad mit zwei gleich „kleinen“ Rädern. Kautschuk als Reifen-Material und eine Konstruktion aus Metallrohren hatten sich inzwischen durchgesetzt. Das Niederrad gilt als Vorstufe des modernen Fahrrads, da mithilfe von Kette und Zahnrädern die Kraft von den Pedalen auf das Hinterrad übertragen wurde. Den Durchbruch erzielte der Engländer John Kemp Starley und legte damit die Grundlagen für den modernen Fahrradbau. Das erste Fortbewegungsmittel mit Kettenantrieb des Hinterrades – das Rover I – stellte er 1884 vor. Auch wenn die Öffentlichkeit zunächst noch auf das Hochrad schwor und sich das Niederrad erst einige Jahre später durchsetzte, gelang es Starley mit seiner Entwicklung das Fahrrad als Massenverkehrsmittel zu etablieren. Die Erfindung eines mit Luft gefüllten Reifens aus Kautschuk durch den gebürtigen Schotten John Boyd Dunlop trug zusätzlich zum Siegeszug des „Drahtesels“ bei.
Am Prinzip des Fahrrads hat sich seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr viel geändert. Lediglich an den Details wurde gefeilt und Sonderformen wurden hervorgebracht. Heute ist das Fahrrad nicht nur dazu da, um von A nach B zu gelangen. Es ist Transportmittel, Sportgerät, Freizeitgerät und Statussymbol.
Wie aus dem Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes hervorgeht, besitzen in Deutschland 81 Prozent der Haushalte mindestens ein Fahrrad und 77 Prozent mindestens ein Auto. Laut Zweirad-Industrie-Verband gab es 2016 in der Bundesrepublik insgesamt 73 Millionen Fahrräder, zehn Jahre zuvor waren es 67 Millionen. Und die European Cyclist’s Confederation sieht Deutschland auf Platz 5 im EU-Ranking Fahrradfreundlichkeit. Spitzenreiter ist Dänemark. Was angesichts der Tatsache, dass seit 2005 mehr als 130 Millionen Euro in die Fahrradinfrastruktur investiert wurden, kein Wunder ist. Bereits seit 1970 versucht man in der Hauptstadt Kopenhagen die Anzahl der Autos zu verringern und die Menschen zum Radfahren zu motivieren. Mit Erfolg. Während dort in den 1970ern etwa 350.000 Pkw und nur rund 100.000 Fahrräder registriert wurden, sind die „Drahtesel“ heute in der Überzahl. Ende des vergangenen Jahres meldete Kopenhagen einen neuen Rekord: 265.700 Fahrräder und 252.600 Autos. Doch die Dänen haben sich noch höhere Ziele gesetzt: Im Jahr 2025 sollen 50 Prozent des Pendlerverkehrs im Großraum Kopenhagen mit dem Rad zurückgelegt werden (derzeit sind es 41 Prozent) und das Zentrum könnte bald ganz autofrei sein. Tina Heinz


Kompakt: Von Aktionstag bis Ausstellung: Rund um das Fahrrad

Im Rahmen des Zweirad-Jubiläums in diesem Jahr finden zahlreiche Veranstaltungen statt. Auch das Technikmuseum Magdeburg widmet sich dem 200. Geburtstag des Fahrrads. Neben einer Ausstellung über die „Technische Entwicklung“ gibt es am 10. Mai, ab 18 Uhr, einen Vortrag über „Das frühe Fahrrad“ sowie am 17. Mai, ebenfalls ab 18 Uhr, über „Die Bedeutung des Radsports“ in der Dodendorfer Straße 65 zu hören.
Zum 7. FahrRad-Aktionstag lädt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (Sachsen-Anhalt) e. V., Regionalverband Magdeburg, am 17. Juni ein. Er findet dieses Jahr im Rahmen der Kampagne „Fahrradstadt. Magdeburg. Jetzt!“ statt. Der Aktionstag beginnt um 10 Uhr mit den Sternfahrten, die alle Teilnehmer aus den Stadtteilen zur Sternbrücke führen. Die darauffolgende Demonstrationsfahrt führt nach einer Kundgebung ab 11.30 Uhr durch die Innenstadt und über den Magdeburger Ring. Anschließend findet zwischen 13 und 17 Uhr auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof ein großes Fest mit allen Themen rund um das Fahrrad statt. Zusätzliche Informationen gibt es unter www.adfc-magdeburg.de.
Wer am 17. September an der „Cycle Tour“ von Braunschweig nach Magdeburg teilnehmen möchte, sollte sich dafür unter www.cycletour.de anmelden. 2017 feiern die beiden Städte ihre 30-jährige Partnerschaft mit vielen Aktionen, darunter die „Cycle Tour“. Dabei können Radfahr-Enthusiasten zwischen den Kategorien „Radrennen“ und „Radtour“ und bei der „Radtour“ zwischen den Distanzen 100 Kilometer ab Braunschweig und 60 Kilometer ab Schöningen wählen. Ob Radrennfahrer, Hobby-Rennradfahrer, sportliche MTBer und Trekking-Biker – für jeden Radbegeisterten ist etwas dabei. (th)

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