Von Fall zu Fall: Leopolds Sonntagsschlaf

Es war 0.30 Uhr, die Talkshow mit dem stets grienenden Moderatur und seinen makellos gebleichten Beißerchen, der wirklich jeden seiner Gäste mitten im Satz unterbricht, war vorbei und in Leopolds Flachbildfernseher lief nichts mehr. Er hatte davor sogar noch eine Sendung konsumiert, in der echte Menschen gezeigt wurden, die sich freiwillig im australischen Urwald einer Hungersnot ausgesetzt hatten, sich mit allem möglichen Getier, Schleim und anderen ekelerregenden Dingen vollstopften, bewarfen oder bespritzten, um dann in die Kamera zu rufen: „Ich bin eine arme Sau, lasst mich hier drin!“ – oder etwas in dieser Art. Das hatte Leopold eher aus beruflicher Sicht als ehemaliger Tierpfleger, aber auch als Hobbyforscher für das Sozialverhalten von Kaffeebohnen fressenden, balinesischen Schleichkatzen interessiert. Also griff Leopold nach anstrengenden Fernsehstunden zur Fernbedienung, schaltete die Mattscheibe aus, um nun den Nachtschlaf zu vollziehen und dies in der frohen Erwartung, dass es um ihn ruhig sei. Doch denkste!
Hämmernde, dumpfe Klänge dröhnten mit einem  wie „butta butta butta…“ an sein Ohr und ließen ihn bis ins tiefste Mark erschaudern. Das Wummern versetzte sogar das Nachtschränkchen in Vibrationen. Wecker und Wasserglas mit den „Dritten“ sowie das Brillenetui tanzten.
Leopold sprang in seine Sachen und inspizierte das Wohnumfeld. Die Quelle des ganzen Übels war schnell ausgemacht: Direkt zwei Etagen über ihm wurde offenkundig gefeiert. Der gerade volljährig gewordene Lars Neumann hatte anlässlich der ausgenutzten Abwesenheit seiner Eltern zur Party geladen und zahlreich erschienende, teilweise im Hausflur auf den Treppenstufen hockend, postpubertäre Gäste waren in bester Stimmung, was sich anhand unzähliger Bierflaschen und kreisender Wodkapullen feststellen ließ. Da sich der Alkoholkonsum auch mindernd auf den Hörsinn und das Sprachvermögen auswirkte, hatte sich die Kommunikation zum Kreischen aufgeschaukelt. Irgendwie erinnerte ihn die Szenerie an die Sendung mit den Urwaldhobbybewohnern. Eine kritische Diskussion erschien ihm bei der Übermacht zwecklos. Er zog sich in seine vier Wände zurück, nahm zwei Schlaftabletten, einen Schluck „Kumpeltod“, stopfte Oropax in die Hörmuscheln und schlief irgendwann ein.
Montags darauf ließ er sich beim Vermieter über das Erlebte heftig aus und drohte mit Mieteinbehalt, einem sofortigen Auszug und Schadensersatz, sollte sich das Grauen ein einziges Mal wiederholen. Hätte er damit Recht?
Hier einige rechtliche Lösungsmöglichkeiten:
► Übermäßiger Partylärm ist vertragswidrig und kann in Extremfällen nach einer erfolglosen Abmahnung zur fristlosen Kündigung führen. AG Köln, WuM 87, 21. Aber: Handelte es sich wirklich um einen Extremfall? War es übermäßig laut? Wie lange dauerte die Party? Welche Geräusche störten konkret und welche Beeinträchtigungen gingen damit einher? Wurden die anderen Mieter, also die Eltern von Lars Neumann, überhaupt schon einmal abgemahnt? Oder war es vielleicht wirklich nur ein einziges Mal, dass in dem sonst ruhigen Haus so gefeiert wurde?
Fragen über Fragen. Im Streitfall müsste das ein Gericht entscheiden. Wenn nämlich Leopold fristlos kündigt, kann sich der Vermieter auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen, weil ja vielleicht kein Extremfall vorlag. Dann müsste Leopold alles nachzahlen – auch für die Zeit, in der er die Wohnung nicht mehr bewohnt – bis zum Ablauf der normalen Kündigungsfrist. Ein Schadensersatz, z. B. wegen der Umzugskosten, würde ihm auch nicht zustehen.
Lärm sorgt leider oft für Streit. Hier einige Urteile die vielleicht helfen, Ärger zu vermeiden:
► Bewohner eines Mehrfamilienhauses müssen übliche Wohngeräusche hinnehmen, aber alle müssen Rücksicht nehmen. AG Hamburg, AZ: 46 C 139/03
► Lautes Streiten, Musik und Gestöhne beim Sexualverkehr sind eine unzumutbare Belästigung der Nachbarn. Amtsgericht Warendorf AZ: 5 C 414/97
► Eine Pendeluhr aufzuhängen gehört zum vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung. Ist das halbstündige Schlagen in der Nachbarwohnung wahrnehmbar, muss das geduldet werden. AG Spandau, AZ: 8 C 13/03
► Befinden sich im Haus Gaststätten mit Vorgärten und geht hiervon ein so großer Lärm aus, dass die Balkone der Wohnung nicht oder kaum nutzbar sind, kann der Mieter die Miete kürzen. AG Lichtenberg, AZ: 6 C 239/03
► Männer dürfen beim Urinieren stehen, auch wenn Nachbarn das Plätschern mitbekommen. Dies könne nur mit Gelassenheit ertragen werden. Amtsgericht Wuppertal, AZ: 34 C 262/96
► Führt das Öffnen des Garagentores zur Störung der Nachtruhe darf die Garage von 22 bis 6 Uhr nicht benutzt werden. OLG Düsseldorf, WuM 91, 438
► Wenn Kinder in der Wohnung weinen, schreien, beim Spielen poltern oder hopsen, müssen die Mitmieter diese Störungen in der Regel hinnehmen. AG Frankfurt AZ: 33 C 3943/04-13; AG Berlin-Wedding, AZ: 6a C 228/01
► Das Fahren mit Roller-Skates in der Wohnung muss von den Mitmietern aber nicht geduldet werden. Amtsgericht Celle, AZ: 11 C 1768/01
► Geschrei und Quietschen von Kindern im Alter von eineinhalb oder zwei Jahren, bevor sie das Haus morgens verlassen, muss hingenommen werden. LG München, AZ: I 31 S 20796/04
► Kindergeschrei von einem nahe gelegenen Kinderspielplatz ist kein Grund für eine Mietminderung. AG Frankfurt/M., AZ: 33 C 2368/08-50
Und die Moral von der Geschicht:
Ob mal gefeiert wird, ob Bässe dröhnen,
Dein Nachbar nachts sich verlustiert.
Ob Kinderlein am Morgen weinen,
ob jemand zu laut uriniert.
Versuch, dies mit Gelassenheit zu nehmen,
denn ganz allein bist Du nicht auf der Welt.
Musst nicht gleich beim Vermieter stöhnen,
das kostet vielleicht nur Dein Geld.
Ihr Rechtsanwalt Andreas Dahm www.kanzlei-dahm.de

Zurück