Ein Autor, zwei Heimatorte

Wahid Nader während einer Lesung in Dresden. Foto: Peter R. Fischer

Als Dr. Wahid Nader auf das Hundertwasserhaus schaut, wirkt er nachdenklich. Der gebürtige Syrer erzählt mit einem Lächeln, dass ihn das Bauwerk nach Entwürfen von Friedensreich Hundertwasser immer an die Häuser in der Altstadt von Damaskus und Medina in Aleppo erinnert – nur sind diese nicht so bunt. Und dennoch ist es ein kleines Stück einer seiner Heimatorte. Denn der Autor hat derlei zwei. Auch in Magdeburg hat er eine Heimat gefunden.

1978 wagte der junge Student die Teilnahme am Literaturwettbewerb an den syrischen Universitäten und Hochschulen und belegte den ersten Platz. Zwei Jahre später machte er in Homs, Syrien, seinen Abschluss als Chemie-Ingenieur, denn so leidenschaftlich der Autor auch schrieb, sollte er doch seinem Ingenieursstudium nachgehen. Die folgenden zehn Jahre verbrachte der Syrer in der damaligen DDR, absolvierte ein Ergänzungs- sowie Postgradualstudium, um 1990 mit einem Doktortitel in der Tasche nach Syrien zurückzukehren. Die DDR war für ihn etwas faszinierendes, wie Wahid Nader erzählt, er war frei, frei dorthin zu gehen, wo er wollte. Das war das erste Mal, dass er Deutschland als seine Heimat erlebte. Trotz seiner akademischen Karriere und seiner Arbeit an der Universität in Aleppo ließ ihn die Literatur nicht los. Wahid Nader wurde Mitglied der Schreibwerkstatt Magdeburg und wenig später im Förderverein der Schriftsteller Magdeburg e.V., nachdem er 1995 nach Deutschland zurückgekehrt war – in seine zweite Heimat Magdeburg. „Wohl kaum ein deutscher Dichter hat diese Stadt an der Elbe so geatmet“, schrieb Ludwig Schumann einst über seinen Freund.

Bis 2009 arbeitete er weiter als Lehrer und Ingenieur, wurde jedoch immer mehr als Dolmetscher und Übersetzer bestellt und gab Arabisch-Kurse am Sprachenzentrum der Universität. Dank Arbeitsstipendien konnte der Autor seinen Lyrikband „Ich weide Sterne auf trunkener Nacht“ und das zuletzt erschienene Werk „Verbrennen der Myrte“ verfassen. Ohne die Arbeitsstipendien wäre keins der Bücher entstanden, sagt der magdeburgische Syrer ernst. Und dies sind nur seine deutschen Werke – in arabischer Sprache hat Wahid Nader ebenfalls mehrere Bücher und Texte veröffentlicht. Außerdem übersetzte er verschiedene Werke aus dem Arabischen ins Deutsche und andersherum. So erreichen einige Texte auch andere Länder wie beispielsweise Ägypten, Syrien, Tunesien, Oman oder die Vereinigten Arabischen Emirate.

Er schlägt das handliche Büchlein „Verbrennen der Myrte“ auf und erzählt über Magdeburg, seine Geburtsstadt Tartous, Religion und die Mythen, auf denen Religionen aufbauen. Das Wort Myrte steht für Syrien, so schreibt er im gleichnamigen Buchkapitel über Kriege, Legenden und seine Mutter. Denn für sie steht ebenso ein Gedicht in dem Band – überschrieben mit dem Titel „Sonne anhalten“. Neben den Gedichten kann man mit Bleistift geschriebene Anmerkungen und arabische Wörter sehen, denn es ist dem 63-Jährigen wichtig, die deutschen Texte auch arabisch sprechenden Mitbürgern nahe zu bringen, sodass er auf Veranstaltungen Teile der Texte übersetzt. Seine Augen leuchten, wenn er von den vielen Mythen und sagenhaften Überlieferungen erzählt, die Teil der Kultur seiner beiden Heimatländer und seiner Gedichte sind. Er sucht ein Beispiel nach dem anderen aus seinem Buch heraus und kommt noch einmal auf das Gedicht für seine verstorbene Mutter zurück. Dieses zeigt wieder ein Stück Heimat, ein Stück Syrien, auch wenn dieser Autor zwei Heimatorte hat.  Sophie Altkrüger



Sonne anhalten (Für meine Mutter)

Im Traum sagt mir die Mutter:
Ich hab deine Haut
aus Sonne gebacken.
Warum hüllst du dich
in Nebel?

Johannesbrot sind deine Augen.
Mittagshitze ist dein Blut.
Warum tropfst du Frost
und lächelst
wie ein Schnee-Engel?

Deine Berührung
ist Henna für meine Hände
und dein Anblick
ist Kajal für meine Augen.
Komm, bevor es um mich dunkel wird.
Ich halte dir
die Sonne an.

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