Sonntag früh rief die Mailänder Scala an …

Julie Martin du Theil gehört seit 2010 zum Ensemble des Theaters Magdeburg. Opernfreunde konnten sie seitdem in einer Vielzahl von Rollen erleben. Sie glänzte u.a. als Maria in der „West Side Story“, als Sophie im „Rosenkavalier“, als Susanna in der „Hochzeit des Figaro“ und als Despina in „Cosi fan tutte“, um nur einige zu nennen. Einen besonderen Stellenwert nimmt jedoch die Sandrina in Mozarts „Gärtnerin aus Liebe“ ein, denn damit gastierte sie an der Mailänder Scala, einem der führenden Musiktheater der Welt! Gisela Begrich sprach für Magdeburg Kompakt mit der Künstlerin.

Magdeburg Kompakt: Frau Martin du Theil, wie kam es zu diesem Gastspiel?
Julie Martin du Theil: Ich habe die Sandrina vor rund anderthalb Jahren hier in Magdeburg gegeben. Das Stück wird nicht oft gespielt. Man hat in Mailand wahrscheinlich geschaut, wer die Partie schon gesungen hat, das waren vermutlich nicht so viele, und hat meinen Namen gefunden. Sie haben sich auf einem Clip angehört, wie ich das singe und gesagt: „Sie macht das sehr gut.“ Sonntag früh rief mich meine Agentur an und fragte:  „Möchtest du morgen in der Mailänder Scala die Sandrina singen?“ Zu dem Zeitpunkt war aber noch nicht entschieden, ob ich wirklich singen würde. Man wollte mich als Cover haben. Die Sängerin musste noch zum Arzt gehen.

Was haben Sie gedacht als die Anfrage kam?
Wie soll ich das beschreiben … Ich habe nie davon geträumt, in der Scala aufzutreten, weil ich meinte, das ist unmöglich. Ich, die Hauptrolle in der Scala, die Premiere, das ist lächerlich! Das war so groß, so unwahrscheinlich. Im Flugzeug dachte ich: Sie wird am Ende doch singen und ich bin nur das Cover.

Wie ging es weiter?
Am Montag habe ich geprobt. Ich musste erstmal durch die Noten gehen. Die Betonungen unterscheiden sich dort zu unserer Aufführung. Es war aber noch nichts entschieden. Um 15 Uhr kam der Anruf, dass ich gebraucht werde. Ich habe dann von der Seitenbühne aus gesungen und sie hat gespielt. (Anmerkung der Redaktion: ein durchaus übliches Verfahren.) Die zweite Vorstellung war eine weitere Herausforderung. Da hat sie sich richtig krankgemeldet und ich musste auch spielen. Ich hatte keine einzige Bühnenprobe, keinen Kollegen vorher gesehen. Ich habe nur mit einer DVD und einem Assistenten geprobt. Außerdem wurde die Vorstellung europaweit live im Radio und Fernsehen übertragen.

Dagegen ist die Premiere von „Don Pasquale“ ein Kinderspiel?
So kann man das nicht sagen. Die Norina ist eine neue Rolle und eine neue Rolle ist immer eine Herausforderung. Aber es war die Scala, eines der besten Theater der Welt. Doch am Abend des Tages ist es das Gleiche, wenn man auf der Bühne steht: Eine Bühne ist eine Bühne. Es ist der Druck, den man sich selber macht. Ich arbeite jedoch gut und ziemlich konzentriert unter Druck.

Hat Sie jemand Vertrautes nach Mailand begleitet, der Ihnen Mut zugesprochen hat?
Eine Freundin, die gerade zu Besuch war, ist mit mir geflogen. Das war sehr gut. Ich brauchte Unterstützung für meine Nerven. Zur zweiten Vorstellung, also als ich nicht nur singen, sondern auch spielen musste, kamen meine Eltern aus der Schweiz. Mit dem Zug sind es von ihrem Wohnort nur vier Stunden. Außerdem habe ich eine gute Freundin in Mailand. Die kam auch.
 
Was haben Sie empfunden, als Sie dann tatsächlich nicht nur das Cover waren, sondern singen durften?
Es war so eine Freude! Schon in der Maske hingen Fotos von Pavarotti und der Callas. Ich habe mir gesagt, so viele große Sänger und jetzt ich. Was für ein Glück, das erfahren zu dürfen. Es ist eine Lebenserfahrung. Ich hab’ mir gedacht: Mädel genieß es, hab’ nicht so viel Angst. Es ist unglaublich!

Wie wurden Sie von den Kollegen aufgenommen?
Sehr, sehr nett. Sie haben mir sehr geholfen, mich auf der Bühne mitunter dahin gestoßen oder gezogen, wo ich gerade stehen musste. Und ich hatte ein ganz großes Glück: mein Partner, der Tenor, kommt aus der Schweiz wie ich, sogar aus der gleichen Region. Es war lustig, sich dort zu treffen, und wir konnten französisch (Anmerkung: Französisch ist die Muttersprache von Frau Martin du Theil) miteinander sprechen.

Die Scala ist ein riesiges Theater, hat über 2.000 Plätze. Wie war es besucht?
Es war voll. Es war ja eine Premiere und das Stück wurde dort zuvor noch nie gespielt.

Wie fielen denn die Kritiken aus?
Ich habe sie nicht gelesen. Ich hatte keine Zeit. Ich musste mich ja auf die zweite Vorstellung vorbereiten. Aber ich habe guten Applaus bekommen. Das war meine Angst, das Publikum dort ist sehr schwierig. Man kennt diese Geschichten, dass Künstler sich verbeugt haben, und … Nach der zweiten Vorstellung habe ich das Angebot bekommen, im nächsten Jahr mit nach Shanghai zum Gastspiel zu fahren. Das ist sicher die beste Kritik.

Julie Martin du Theil ist am Theater Magdeburg in dieser Spielzeit als Norina in „Don Pasquale“, Musetta in „La Boheme“, Pamina in der „Zauberflöte“ und Annina in „Eine Nacht in Venedig“ zu erleben.

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