Rasante Derbys im Ostfußball

Gerade noch einmal gutgegangen: Christian Beck jubelt nach dem 2:2 in letzter Sekunde gegen Dynamo Dresden. Foto: Peter Gercke

Nach einem Viertel der Saison rangiert der Zweitliga-Aufsteiger 1. FC Magdeburg auf Platz 15. Rasante Derbys prägen den Ostfußball.

Der Ostfußball lebt. Und wie! Wenn es noch eines Beweises dieser These gebraucht hätte, der Ost-Klassiker 1. FC Magdeburg gegen Dynamo Dresden am zurückliegenden Wochenende lieferte ihn. Der „Elb-Classico“, wie das Duell seit Kurzem in Anlehnung an den spanischen Dauerbrenner Real versus Barcelona auch genannt wird, besaß alles, was sich der Fan von einer Klassepartie erhofft: dramatischer Spielverlauf, Hochspannung bis in die Nachspielzeit, viele Tore, Begeisterung auf den Rängen, weitgehend Fairness auf dem Rasen. Dazu ein ausverkauftes Stadion; binnen weniger Stunden waren die 23.000 Tickets weg. Es hätten dreimal so viel Karten verkauft werden können. „Das Spiel war eine großartige Werbung für den Ostfußball, das von der Kulisse getragen wurde und sehr emotional war“, meinte Dresdens Coach Maik Walpurgis nach dem 2:2 denn auch zu Recht.

Es zeigt sich immer mehr, der Blick muss nicht unbedingt einzig und allein Richtung RB Leipzig gehen, wenn von Spitzenfußball zwischen Ostsee und Erzgebirge die Rede ist. Gerade die Ost-Derbys in der zweiten Liga haben es in sich, elektrisieren die Massen geradezu. Das Aufeinandertreffen Dresden und Magdeburg – in beiden Städten träumt man von einem dauerhaften Platz in der Bundesliga – ragt dabei noch besonders heraus.

Den siebziger Jahren, mit der WM-Teilnahme 1974 und dem Europapokalgewinn der Blau-Weißen kurz zuvor die beste Zeit des DDR-Fußballs überhaupt, drückten der FCM und Dynamo unter den Trainer-Legenden Heinz Krügel und Walter Fritzsch ihren Stempel auf. Zwischen 1971 und 1978 wanderte der Meistertitel immer nur elbauf- oder elbabwärts. Es war ein Fight ewiger Rivalen, die seinerzeit auch das Gros der DDR-Nationalmannschaft stellten. Fünfmal triumphierten die Sachsen, dreimal die späteren Sachsen-Anhalter. „In beiden Mannschaften standen fantastische Fußballer“, erinnert sich der heutige FCM-Trainer Jens Härtel. „Beide Teams hätten seinerzeit in der Bundesliga ohne Probleme mithalten können.“

Dresden, Union Berlin und dazu seit diesem Jahr noch Magdeburg, das scheinen heute die Teams mit dem größten Potenzial in Richtung erste Liga zu sein. Wobei die Bedeutung auf dem Wort „Potenzial“ liegt. Natürlich gelten für Aufsteiger FCM kurzfristig ganz andere Kriterien, nämlich sportlich erst einmal überhaupt den Klassenerhalt zu sichern. Allen drei Teams gemeinsam ist, dass ihnen, um den Sprung ganz nach oben ins Visier nehmen zu können, einfach große Wirtschaftspartner fehlen. Es ist bezeichnend, dass keines der deutschen Dax-Unternehmen seinen Sitz im Osten hat.

Es mangelt einfach an Großkonzernen, die sich mit einem Fußballklub identifizieren und dafür ganz tief in die Portokasse greifen. Nicht einmal langfristig ist da eine Änderung in Sicht. So bleibt den Ost-Vereinen – wenn sie denn nicht auf einen zweiten österreichischen Brause-Prinzen hoffen – wohl oder übel nichts anderes übrig, als möglichst viel Kraft und Fantasie bei der Akquise regionaler Wirtschaftspartner an den Tag zu legen. Sportlich zumindest haben in jüngster Vergangenheit Ingolstadt, Darmstadt, Paderborn, Fürth und Braunschweig mit ihren Aufstiegen in die erste Liga bewiesen, was trotzdem möglich ist. Selbst wenn sie letztlich nur einen Sommer ganz oben tanzten.

Soweit gehen die Gedankengänge in der FCM-Chefetage natürlich längst noch nicht. Dort gilt weiterhin das Motto des kontinuierlichen Wachsens. Und das heißt, wie gesagt, zunächst einmal die Liga zu halten. Nachdem ein Viertel der Saison absolviert ist, durchaus ein Anlass zu fragen: Wo steht der FCM? Wie schlägt sich der Aufsteiger?

Zunächst zeigt sich einmal, dass jene Warnung, woher und von wem sie auch kam, nicht übertrieben war, in Liga zwei wehe ein ganz anderer Wind. Dass es für die Magdeburger de facto nur ein Ziel geben könne: den Nichtabstieg – selbst wenn Mannschaft und Trainer immer wieder betonen, sie spürten, durchaus mit den anderen Teams mithalten zu können. Die nüchternen Zahlen sagen, mit neun Punkten (ein Sieg, sechs Unentschieden, zwei Niederlagen) sind die Blau-Weißen Fünfzehnter. Da ist zwar vorerst nur ein Platz über den Abstiegsrängen. Gleichzeitig ist die Ausgeglichenheit in der Liga derart eng, dass den FCM selbst von einem Relegationsplatz für die erste Liga nur neun Zähler trennen. „Wir haben acht Spiele gemacht und zwei verloren. Ist das Glas nun halb voll oder halb leer?", hatte Härtel noch vor dem Ost-Klassiker gefragt und gleich selbst geantwortet: "Für einen Aufsteiger ist das schon eine ordentliche Bilanz."

Hoffnungsvoll stimmt auf jeden Fall die Tendenz beim FCM. Nach einem Stotterstart mit zwei Niederlagen, zwei Unentschieden und dem bitteren Pokal-Aus gegen Darmstadt fing sich die Mannschaft, hat jetzt seit fünf Begegnungen nicht verloren. „Doch allein nur mit Remis“, konstatierte Abwehrchef Dennis Erdmann nach dem Dresden-Spiel, „wird es am Ende kaum reichen.“ Erfreulich, dass sich vor allem die Offensiv-Abteilung berappelt hat. Satte zehn Treffer steuerte sie aus den letzten vier Begegnungen bei. Dafür hapert es nun hinten. Für den FCM wird es jetzt vor allem darum gehen, eine gesunde Balance nicht nur zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen zu finden, sondern auch zwischen den Halbzeiten. Gegen Dresden unterschieden sie sich wie Tag (zweite 45 Minuten) und Nacht (erste Hälfte).

Hoffnungsvoll stimmt auf jeden Fall der nimmermüde Kampfgeist der Blau-Weißen. Sie strecken tatsächlich erst die Waffen, wenn sie wieder in der Kabine sitzen. Zweimal wurden so eigentlich entmutigende 0:2-Rückstände aufgeholt. Das sorgt durchaus für Selbstbewusstsein. Klar dürfte allerdings ebenso sein: über eine gesamte Saison funktionieren derartige kraftraubende Gewaltakte nur selten. Nicht immer springt man dem Sensenmann noch in allerletzter Sekunde von der Schippe. Rudi Bartlitz

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