Keiner Logik „entsprechend“

Eigentlich wollte ich schon zu DDR-Zeiten protestieren. Aber wer weiß, wie das die Genossen aufgefasst hätten, vielleicht hätten sie es gar nicht verstanden. Ich hielt es also für geschickter, den Einspruch zu unterlassen.

Wenn es so aus dem Fernseher ertönte, wenn es so in den Zeitungen stand und wenn die lokalen Funktionäre ihre Reden so begannen: „Entsprechend der Beschlüsse des VIII. Parteitages …“, „Entsprechend der Beschlüsse des 9. Plenums …“ usw., dann hätte ich am liebsten gesagt: So könnt Ihr nicht sprechen. So dürft Ihr nicht schreiben. Es hätte sicher nichts genützt und mir vielleicht geschadet. Dabei sollte sich mein Einspruch nicht gegen die Beschlüsse richten, sondern schlicht und einfach gegen die Art und Weise, wie Nachrichten dazu formuliert wurden. Heute, rund 30 Jahre später, hat sich am entsprechenden Gebrauch nichts geändert. Offenbar sind Verschiebungen im Sprachgebrauch kein gesellschaftliches Phänomen. Es geht jetzt in Medien weniger um Parteitags- oder Plenumsbeschlüsse, sondern um solche des Europäischen Parlaments, der EU-Kommission oder einer Aktionärsversammlung oder irgendeines anderen Gremiums.

Falls Sie sich nun fragen, was der Schreiber dieser Zeilen eigentlich will, worüber er denn meckert, dann muss ich schlussfolgern, dass so mancher, früher eigentlich ungewohnter Sprachgebrauch schon sehr tief sitzt. Worum geht es? Um das Wörtchen entsprechend. Betrachten wir dieses Wort näher:entsprechend wird in einem Satz wie oben als sogenannte Präposition verwendet. Eine Präposition ist ein Wort, das Wörter zueinander in Beziehung setzt und ein bestimmtes (räumliches, zeitliches o. ä.) Verhältnis angibt. Auf Deutsch also ein Verhältniswort. Übliche und in der Umgangssprache gängige Verhältniswörter sind:  an, auf, bei, für, wegen, zu, hinter, vor usw. Die Präpositionen verlangen einen bestimmten Fall (Kasus) in der Grammatik. Z. B. Er steht vor mir.  Mir ist Dativ. Die Taube fliegt auf das Dach. Auf das Dach – Konstruktion im Akkusativ. Fragestellung: Wohin fliegt die Taube? Aber Achtung: Die Taube sitzt auf dem Dach – Dativ. Die Frage lautet: Wo sitzt die Taube?

Wenn wir uns nun wieder entsprechend der Beschlüsse zuwenden und uns entsprechend betrachten, dann fällt schon vom Augenschein her auf, dass dieses Wort ziemlich lang ist und eigentlich in keiner Weise zu den genuin deutschen Verhältniswörtern passt. Es ist eben der Schriftsprache oder der gehobenen Ausdrucksweise zuzuordnen, auch wenn es, wie vieles andere auch, aus diesen Stilebenen in die Umgangssprache Einzug hält.

Entsprechend ist in seiner Funktion in den oben genannten Phrasen Präposition, also Verhältniswort. In manchen Sätzen kann es sogar allein, z. B. ohne nachfolgendes Substantiv, stehen: Die Bundesregierung hat entsprechend reagiert. Der Betrachter würde es als Adverb, auf Deutsch Umstandswort, bezeichnen. Von der Funktion her nimmt hier entsprechend Bezug auf vorher geäußerte Sachverhalte.

Sehen wir uns nun an, woher „entsprechend“ stammt bzw. wie es sich entwickelte. Ziemlich eindeutig ist es aus dem Verb entsprechen abgeleitet. Angehängt wurde an entsprechen der Buchstabe d, und damit bilden wir das Partizip I des Verbs, auf Deutsch Mittelwort. Andere Beispiele des Partizips I sind: lesend (Bsp.: der lesende Schüler), schlafend (Bsp.: die Mutter war noch schlafend), usw. Das Partizip II ist die Form der Vergangenheit. Ein Beispiel: das vernichtete Geld, oder: Wir hatten die Abfälle entsorgt. Nebenbei gesagt, entsprechend kann auch als Adjektiv auftreten: Wir haben die entsprechenden Papiere vorgesucht. Oder: Der entsprechende Spieler wurde aus der Mannschaft ausgeschlossen.

Nähern wir uns der Logik in der Sprache: Wir konstruieren einen einfachen Satz: Unsere gewerkschaftlichen Forderungen entsprechen den Gewinnen der Unternehmen. Bei der Analyse des Satzes bemerken wir, dass das Verb entsprechen mit dem Dativ des nachfolgenden Wortes steht; entsprechen als Verb verlangt nach sich den Dativ. Und wie sieht es mit entsprechend in seiner Funktion als Präposition aus? Entsprechend der Beschlüsse … – das ist eindeutig der Genitiv. Da fällt die unterschiedliche Verwendung der Fälle aus der Logik. Das Verb steht in der Verwendung im Satz im Dativ, das davon abgeleitete Partizip als Präposition steht nun im Genitiv. Logisch wäre, dass in der sogenannten Rektion der Verben und der daraus abgeleiteten Partizipien Übereinstimmung herrscht.

Ein weiteres Beispiel für fehlende Logik ist dank. Dank wird als Substantiv gebraucht, dank ist ebenso Präposition. Beides ist abgeleitet vom Verb danken. Rektion von danken: Ich danke dir – Dativ. Der Präsident dankte dem Helfer für den unermüdlichen Einsatz. Wiederum alles im Dativ. Als Präposition – wie widersprüchlich – wird der Genitiv verwendet: Dank des Einsatzes der Pariser Feuerwehrleute konnte Notre-Dame gerettet werden,  oder Wir konnten, dank der Auswechslung des Spielers kurz vor Spielende, doch noch gewinnen.

Die oben angeführten Fälle sind nur Beispiele für fehlende Logik im Sprachgebrauch. Spekulieren lässt sich darüber, warum dies in unserer deutschen Sprache auftritt. An unsere Sprache kann eben keine mathematische Logik angelegt werden. Dieter Mengwasser, Dipl.-Dolmetscher u. -Übersetzer

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