Links steht stets auf der rechten Seite

Sich politisch links zu verorten, ist nicht schwer. Links – das steht für Gerechtigkeit, für die Interessenvertretung der kleinen Leute gegenüber Mächtigen, Ausbeutern und Unterdrückern. Alles, was links ist, muss ergo gut sein. Wer sich rechts oder konservativ versteht, gehört ins Reich der Bösen und die Mitte ist ein unentschiedener Ort, in dem man offenbar zu schwach ist, sich gerecht zu positionieren. So könnte man es vereinfacht beschreiben. Allerdings gehören Vereinfacher – auch gern Populisten genannt – nicht gerade ins Sympathisantentum eines linken Selbstverständnisses. Egal. Feinde stehen immer auf der anderen Seite.

Nun hielt die Partei „Die Linke“, die schon im Namen eindeutig auf die richtige Seite ausgerichtet ist, in Leipzig ihren Bundesparteitag ab. Gemäß ihrer internationalistischen Tradition unterstützte die Mehrheit der Delegierten den Leitantrag des Parteivorstandes, dass für Flüchtlinge die Grenzen offen bleiben sollten. Das gebieten die linken Gene, die für eine naturgemäße Fortpflanzung von Solidarität und Humanität gesehen werden können. Abtrünnig und dazu im Widerspruch hatten sich Partei-Ikone Sarah Wagenknecht sowie deren Ehemann, Ex-Partei- und Fraktionschef Oskar Lafontaine, geäußert. Die hatten für die Begrenzung von Zuwanderung geworben.

Dass die Formulierung „offene Grenzen“ ein großer Nebel ist, schien sogar der wiedergewählten Parteichefin Katja Kipping bewusst zu sein, so schob sie die Erklärung nach, dass dies nicht heiße, alle dürften kommen. Ja wie denn nun? Die Linke stehe an der Seite „der Entrechteten auf den Fluchtrouten“, sagte Kipping. Und ich frage, ob sie auch auf der Seite derer steht, die Opfer solcher Entrechteten wurden oder werden könnten? Das muss man schlucken, weil Gerechtigkeit ein linkes Gotteswort ist.

Ich will mal ungerecht sein – was in einer Kommentierung gar nicht anders geht – und den Finger in die Traditionswunde eines linken Internationalismus legen. Kurioserweise sind alle heutigen Ergebnisse eines Zusammenrückens von Menschen unterschiedlicher Nationen und Ethnien nicht dem Generalanspruch von links zuzuordnen. Ganz im Gegenteil, die moderne verflochtene Welt, die noch exis-tente Europäische Union und viele andere internationale Bündnisse sind alles Machwerke des größten Links-Feindes, nämlich des Kapitalismus. Übrigens genau das hatte Linken-Übervater Karl Marx prophezeit. Soweit ein revisionistischer Blick auf linke Wurzeln. Der Schutz der Schwachen ist die schillernde Leuchtschrift am linken Horizont. Das ist schön einfach – eigentlich ziemlich populär. Oder doch schon populistisch? Schwach, gar ohnmächtig fühlt sich manch deutsches Bürgerlein gegenüber der Doktrin von offenen Grenzen. In Zeiten, in denen Unternehmen und Staat über Bürger, Kunden oder Nutzer so ziemlich alles herauskriegen können bzw. schon wissen, weiß man über Geschehnisse an offenen Grenzen wenig, weder wer da kommt, mit welchen Absichten, mit korrekten Papieren oder falschen. Warum hat der Linken-Vorstand die schwammige Bezeichnung „offene Grenzen“ verwendet, wenn doch näher betrachtet nur das verfassungsgarantierte Asyl gemeint sein sollte?

Das kann man nur orakeln. Wahrscheinlich weil die Vorstellung von Zukunft etwas offenes sein soll. Leider hat die Zukunft von Menschen eine unüberwindbare Grenze: den Tod. Gerecht ist nur, dass alle von ihm betroffen sind, jedoch nicht zu welcher Zeit. Da hilft auch keine linke Überzeugung. Ach ja, eine offene Gesellschaft sollen wir sein. Davon kündeten vor den Linken schon die Aufklärer. Was die Linken übrigens trotz unendlich großem Bemühen, fortwährendem Beten auch noch nicht geschafft haben, ist die Gerechtigkeit zwischen Geschlechtern herzustellen. Mit neuen Schreibweisen oder Sternchen, mit dem Sprengen orthografischer und grammatikalischer Grenzen, zeigt sich immer wieder neue Ungerechtigkeit. Soziologische Forschungen schneiden menschliches Verhalten in immer kleinere Untersuchungsgegenstände und entdecken unentwegt neue Ungerechtigkeiten. Naturwissenschaft besitzt Erkenntnisgrenzen – zumindest solche der Messbarkeit. Die  geisteswissenschaftliche Sphäre ist dagegen eher grenzenlos. Links sein ist leicht, weil man automatisch auf der rechten Seite steht. Auweia, ein dunkles Wortspiel. Grenzenlos und offen ist auch, wie viele Wähler den Linken bei den nächsten Wahlen davonlaufen werden. Davon fühlen sich viele als durch die Linke entrechtet und von deren Politik verfolgt, mitunter sogar populistisch verschaukelt, weil sie sich von linker Gerechtigkeit ungerecht vertreten fühlen. Axel Römer

Zurück