Deutsch als Fremdsprache

In der Stimme des Richters ist der Vorwurf unüberhörbar: Bereits fünf Jahre Aufenthalt in Deutschland, aber keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache! Sehen wir uns den Angeklagten mal näher an. Schwarzafrikaner, aus Burkina Faso. Wegen mehrerer Diebstähle geringwertiger Sachen (so das Juristendeutsch) in Supermärkten soll er vor Gericht in einer Hauptverhandlung verurteilt werden. Er gilt als Wiederholungstäter, denn er war schon des Öfteren auffällig geworden und musste nach Strafbefehlen Geldstrafen zahlen, hatte aber wohl doch nicht die richtigen Lehren daraus gezogen. Sein Aufenthaltsstatus: Duldung, d. h. sein Asylantrag ist abgelehnt, aber sein Aufenthalt wird in Deutschland noch geduldet. Alle paar Monate muss er sich bei der Ausländerbehörde einfinden, um den Status verlängern zu lassen.

In seinem Heimatland hat er keine Schule besucht. Französisch ist in Burkina Faso die Amtssprache. Er gibt an, mit seinen Verwandten und Freunden in der Sprache Moore zu verkehren

Mangelhafte oder keine Bildung, keine Ausbildung – all dies sind schlechte Voraussetzungen, um eine Fremdsprache zu erlernen. Von der fehlenden Motivation wollen wir gar nicht sprechen – unserem jungen Mann droht ja die Abschiebung in sein Heimatland. Und Abschiebekandidaten wird natürlich auch kein Sprachkurs gewährt.

Am schlimmsten und das größte Hindernis ist jedoch die Isolation, die Ausländer erfahren können. Die Sprache ist ein gesellschaftliches Phänomen, das bedeutet, sie hat sich durch das Zusammenleben von Menschen gebildet, sie entwickelt sich weiter und wird praktiziert im Zusammenleben von Menschen. Und nur wer am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, kann sich eine Sprache aneignen. Unser junger Mann aus Burkina Faso wohnt in einer Asylbewerberunterkunft, zusammen im Zimmer mit einem Flüchtling aus Afghanistan und einem Marokkaner. Mit dem Marokkaner kann er französisch sprechen, mit dem Afghanen kommuniziert er auf Deutsch. Die Kontakte mit Deutschen beschränken sich auf das im Heim arbeitende Personal, auf Besuche in der Ausländerbehörde oder im Sozialamt. Selten, sehr selten, wenn überhaupt, gibt es Gespräche von längerer Dauer.

Fehlender Umgang mit deutschen Bürgern, wenig Kommunikation mit den hier ansässigen Menschen und Isoliertheit sind nicht nur bei Asylbewerbern Ursachen für unzureichendes Sprachvermögen. Auch manche Umsiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, die in den 90er Jahren nach Deutschland kamen und eigentlich deutsche Wurzeln haben, haben es nicht vermocht, sich auch sprachlich zu integrieren, weil sie in ihren eigenen Kreisen verblieben sind. Ganz anders natürlich ihre Kinder und Enkel, die deutsche Schulen besuchen und voll in das Arbeitsleben unserer Gesellschaft einbezogen sind.

Natürlich sind nicht alle Ausländer in einer Situation wie der junge Schwarzafrikaner. Es gibt welche, die sich deutsche Freundinnen anlachen und damit nicht isoliert sind. Sie sind dadurch gezwungen, auf Deutsch zu kommunizieren, und erreichen damit auch einen gewissen Grad der Sprachbeherrschung.

Wenn wir von Sprachbeherrschung reden: Zu unterscheiden sind die aktive und die passive Sprachbeherrschung, auch als Sprachvermögen oder Sprachkompetenz bezeichnet. Aktive Kompetenz heißt, wie der Sprecher (in der Kommunikation als Sender bezeichnet) fähig ist, Sätze in einer Sprache zu bilden, sich zu artikulieren, seine Gedanken seinen Gesprächspartnern (den Empfängern, Rezipienten) darzulegen. Die passive Sprachbeherrschung bedeutet hingegen, in welchem Maße der Gesprächspartner in der Lage ist, das Gesagte aufnehmen und verstehen zu können. Die Unterschiede zwischen beiden Kompetenzen können enorm sein. Nehmen wir als Beispiel erfahrene Politiker, die im Parlament oder in Talkshows brillant geschliffene Reden halten und damit ihren hohen Grad an aktiver Sprachbeherrschung beweisen. Und wir "einfachen Leute", wir hören ihnen zu – und verstehen, was diese Politiker sagen, womit wir dann aber auf unserer Seite auch unseren hohen Grad der passiven Sprachbeherrschung beweisen. Seien wir aber auch ehrlich: Nicht immer verstehen wir alles, und das lässt sich dann eben doch manchmal auf ungenügende Sprachkompetenz zurückführen. Nebenbei gesagt: Menschen mit hohem Grad an aktiver Sprachbeherrschung haben mehr Chancen, bei Wahlen gewählt zu werden – beobachten Sie, lieber Leser, die politische Szene.

Es ist naturgemäß, dass das passive Sprachvermögen bei allen Menschen größer ist als das aktive, natürlich und erst recht bei unseren Ausländern. Im Laufe der Jahre, die sie bei uns in einer deutschsprachigen Umgebung verbringen, eignen sie sich trotz aller Umstände eine passive Sprachbeherrschung an, die sie letztlich befähigt, sich zumindest in Alltagssituationen zurechtzufinden. Vor Gericht zu stehen, die Justizsprache zu verstehen, überhaupt die Atmosphäre – da haben selbst die meisten Einheimischen Respekt.

Im Allgemeinen herrscht die Meinung vor, es sei doch gar nicht so schwer, eine fremde Sprache zu erlernen. Hier ist natürlich zu entgegnen, in welchem Maße diese Sprache dann beherrscht wird. Wir erinnern uns an den obligatorischen Russischunterricht zu DDR-Zeiten. Ab der 5. Klasse Pflicht, das heißt 4 Jahre bis zur Jugendweihe, dann während der Oberschule bis zum Abitur nochmals 4 Jahre, anschließend beim Studium – egal, welche Fachrichtung – Russisch als Pflichtveranstaltung in den beiden ersten Studienjahren, alles zusammen also 10 Jahre. Und die Kenntnisse der russischen Sprache, reichten die dann zum Schluss aus, eine Novelle von Alexander Puschkin im Original oder einen Artikel aus der "Prawda" zu verstehen?

Die Hürden beim Erlernen einer Fremdsprache sind hoch. Den Wortschatz sich anzueignen, das ist vielleicht noch das Geringste. Tisch, Stuhl, Bett, Milch, Brot, Käse – diese Wörter kann sich jeder relativ leicht in einer Fremdsprache einprägen. Schwieriger ist es schon, sinnvolle Sätze zu bilden. Hier kommt die Grammatik ins Spiel. Auch der Deutsche, dessen Schulzeit lange zurückliegt und der sich nicht mehr daran erinnert, was Subjekt, Prädikat, Objekt, adverbiale Bestimmungen und andere Grundregeln der Grammatik sind, ist in der Lage, aufgrund seiner Lebenserfahrung und der ständigen Kommunikation in einer deutschsprachigen Atmosphäre aktiv und passiv die deutsche Sprache zumindest für seine Zwecke zu beherrschen. In seinem ganzen bisherigen Leben hat er es mit seiner Sprache zu tun, angefangen von der Geburt, wo er kurz danach bereits erste Laute von seiner Mutter (daher der Ausdruck Muttersprache!) vernimmt, dann folgen Kindergarten, Schule, Ausbildung. Alle diese Strecken erlebt ein Ausländer nicht, jedenfalls nicht in einer deutschsprachigen Umgebung. Und in einem Deutschkurs, der ein halbes Jahr dauert, ist dies auch unter güns-tigsten Bedingungen nicht aufzuholen.

Unterschätzt wird häufig die Wichtigkeit der Kenntnisse in der Grammatik. Des Öfteren habe ich im Gerichtssaal erlebt, wie Ausländer, die sich 10 Jahre oder länger in Deutschland aufgehalten haben und durch zahlreiche Kontakte mit Deutschsprachigen über einen relativ guten Wortschatz im Deutschen und eine sehr gute passive Sprachkompetenz verfügten, also das gesprochene deutsche Wort selbst einwandfrei verstanden, in ihrer Anhörung, sei es als Zeugen oder als Beschuldigte, minutenlang in deutscher Sprache redeten und redeten und dabei auch in der verwendeten Lexik (Wortschatz) die für die Klärung der jeweiligen Sachverhalte erforderlichen Elemente vorbrachten, jedoch verstand sie niemand. Ihren Sätzen fehlte die nötige Struktur, Satzglieder waren nicht erkennbar, die Beziehungen zwischen den von ihnen verwendeten Wörtern waren unklar. Die Aussagen waren in einer solchen Form für das Gericht nicht verwertbar. Das Reden der Vernommenen wurde dann gewöhnlich vom Richter unterbrochen, und sie wurden aufgefordert, in der Sprache ihres Heimatlandes zu sprechen, und der Dolmetscher möge das dann übersetzen.
 
Ein Aspekt zu Deutsch als Fremdsprache ist noch erwähnenswert: Die Aussprache deutscher Laute durch Ausländer. Aber das ist Stoff für ein gesondertes Kapitel. Dieter Mengwasser - Dipl.-Dolmetscher und -Übersetzer

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