Der Arzt am Bildschirm

Telemedizin in Sachsen-Anhalt

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Rund eine Milliarde Arztkontakte haben Deutsche innerhalb eines Jahres. Das zeigt, wie hoch Vertrauen und der Wunsch nach medizinischer Hilfe sind. Insbesondere im ländlichen Raum zeigt sich aufgrund des demografischen Wandels als auch darin, dass sich dort weniger Ärzte niederlassen wollen, eine größer werdende Versorgungslücke. Telemedizin heißt ein Zauberwort, das künftig den Bedarf nach medizinischer Konsultation sichern soll.

„Telemedizin ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt“, so definiert die Bundesärztekammer den Begriff. Der Deutsche Ärztetag hat vor einem Jahr den Weg für Telemedizin freigemacht. In der Breite ist die Telemedizin aber noch nicht angekommen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Ärzte deshalb aufgefordert, bei einer schnelleren Einführung digitaler Angebote für Patienten mitzuziehen. „Gestalten Sie das mit“, sagte Spahn beim zuletzt Deutschen Ärztetag in Münster. „Wenn wir in den nächsten zwei, drei Jahren die Kiste nicht mal langsam gebacken kriegen, dann gestalten wir es nicht, wir erleiden es.“ Etwa für Online-Sprechstunden werde sich eine Nachfrage entwickeln. Spahn will nach langem Gezerre um zusätzliche Funktionen für die elektronische Gesundheitskarte mehr Tempo erreichen. Bis 2021 soll eine digitale Patientenakte als freiwilliges Angebot kommen, auch als Handy-App. Das Thema Telemedizin/Digitalisierung des Gesundheitswesens ist im Moment also in aller Munde. Die Kernfrage aber ist: Warum kommt das bisher nicht richtig in Gang?
 
Es gibt technische Gründe. Die Internet-Versorgung ist vielerorts weiterhin zu schlecht – selbst in Magdeburg verfügen nicht alle Stadtteile über schnelles Internet. Aber auch Ärzte haben Vorbehalte: Nur wenn die Ärzteschaft von den Vorteilen vollends überzeugt ist, können bei der überfälligen Digitalisierung der Versorgung substanzielle Fortschritte erzielt werden. Die Ärzte sowie ihre Interessenvertreter wollen auf keinen Fall Kompetenzen abgeben, z. B. an nichtärztliches medizinisches Personal aus ihrer Praxis. Dies ist aber dringend notwendig. Die Themen Delegation ärztlicher Leistungen und Heilkundeübertragung erfordern eine Neubewertung und Umsetzung.

Beklagt wird mitunter auch mangelnde Koordination. Die Umsetzung hängt nicht nur von einem Akteur ab, sondern erfordert ein geordnetes Zusammenspiel vieler verschiedener Teilnehmer – Politik, Krankenkassen, Ärzteschaft, Krankenhäuser, Pfleger, Bund, Länder, Wirtschaftsunternehmen wie Telekom & Co., Datenschützer, Ethiker, Wirtschaftsunternehmen, Juristen. Hier fehlt ein Zusammenwirken aller Beteiligten. Außerdem dauert die Evaluation von Modellprojekten lange. Mögliche telemedizinische Ansätze müssen erst aufwendig erprobt und evaluiert werden, zum Beispiel über den Innovationsfonds mit jahrelangen Vorlaufzeiten. Das dauert! Eine bundesweite Vernetzung und Abstimmung ist selten.

Eine weitere aktuelle Hürde sind Datenschutzbedenken. Die neue Datenschutzgrundverordnung ist wichtig, stellt jedoch auch eine Barriere für telemedizinische Angebote dar. Die Übertragung von medizinischen Patientendaten erfordert besonders gesicherte Datenleitungen. Ebenso werden ethische Bedenken eingewendet. Ethiker sehen die digitalen Entwicklungen vor dem Hintergrund einer „Entmenschlichung“ in der Versorgung und Pflege kritisch.

Juristen wiederum wenden ein, wie schwierig es ist, das Thema juristisch zu bewerten. Das zeigt die jahrelange Diskussion über die elektronische Gesundheitsakte, die immer noch nicht exis-
tiert.
 
Die BARMER hat für die Telemedizin folgende Positionen erarbeitet: Die Telemedizin kann die klassische ärztliche Versorgung nicht ersetzen, aber ergänzen. Gerade für den ländlichen Raum bietet die Telemedizin bei entsprechender Infrastruktur (schnelles Internet) großes Potenzial. Besonders Berufstätige, die wenig Zeit haben, junge Familien mit Kindern, ältere Menschen, die nicht so mobil sind, können auf diesem Weg unkompliziert Kontakt mit dem Arzt aufnehmen.

Dazu sollten die Kommunen stärker ins Boot geholt werden. Vielleicht können sie Räume zur Verfügung stellen, in denen telemedizinische Angebote gemacht werden. Ältere Menschen müssten nicht in jedem Fall direkt zum Arzt gehen, sondern würden per Videosprechstunde Austausch mit dem Arzt haben. Eine Schwester könnte das vor Ort betreuen und die technische Abwicklung übernehmen. Auf diese Weise könnte beispielsweise eine Fernverschreibung von Arzneimitteln erfolgen.

Die BARMER fordert alle Akteure in Sachsen-Anhalt zu mehr Einsatz bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen auf. „Wir können und dürfen die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung nicht profitorientierten ausländischen Großkonzernen überlassen. Bund, Länder und sämtliche Akteure des Gesundheitswesens sollten die Digitalisierung konsequent gemeinsam vorantreiben“, sagt Axel Wiedemann, Landesgeschäftsführer der BARMER in Sachsen-Anhalt.

Was es dafür braucht, sind unter anderem breitenwirksame Digitalisierungsmaßnahmen des Bundes. „Schnelles, stabiles, flächendeckendes Internet in allen Regionen des Landes stellt eine Grundvoraussetzung für digitalen Service dar. Eine Umsetzung von regionalen Versorgungsvorhaben mit digitaler Unterstützung, so wie es beispielsweise die BARMER mit Hilfe von Videosprechstunden, Hebammenberatung per Chat oder Online-Trainingsangeboten für psychisch Kranke ihren Versicherten anbietet, wird erst dann durchgängig für alle Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt möglich“, sagt Wiedemann.

Die BARMER ist im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin bereits ein telemedizinischer Vorreiter. Der Berufsverband der Kinder und Jugendärzte (BVKJ) und die BARMER verbessern die Behandlung von Heranwachsenden mit chronischen und seltenen Erkrankungen durch ein speziell entwickeltes Telemedizin-System. Mit „PädExpert“ können niedergelassene Kinder- und Jugendärzte einen pädiatrischen Facharzt online zu Rate ziehen, um unklare Diagnosen abzusichern und die Behandlung abzustimmen. „Mit ,PädExpert’ optimieren wir die medizinische Versorgung, allem voran auf dem Lande. So ersparen sich unsere jüngsten Versicherten lange Anfahrtswege und Wartezeiten beim Spezialisten“, sagt Wiedemann. Der telemedizinische Expertenrat kommt bei zehn Indikationen zum Einsatz und bietet eine medizinische Expertise etwa bei Rheuma, Zöliakie und dermatologischen Erkrankungen. Mit PädExpert wollen die teilnehmenden Kinder- und Jugendärzte möglichst binnen 24 Stunden die Einschätzung eines Experten einholen und so nicht eindeutige Befunde abklären. Für PädExpert wurde ein neues Verfahren entwickelt, um ein Höchstmaß an Datensicherheit zu gewährleisten. Bei der Übertragung von Anfragen von einem Arzt zum anderen werden die persönlichen Daten des Patienten von den medizinischen Daten vor der verschlüsselten Übertragung getrennt und auf verschiedenen physikalischen Servern in Deutschland gespeichert.

Für eine bessere und sichere Versorgung sollte die elektronische Patientenakte zeitnah eingeführt werden, auf die alle behandelnden Ärzte eines Patienten Zugriff haben. Für eine optimale Versorgung vor Ort müssen sich aus Sicht der BARMER die Leistungserbringer vernetzen. Regionale Versorgungsverbünde können die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern und weiteren Leis-tungserbringern verbessern. Digitalisierte Prozesse und eine sektorenübergreifende Datenautobahn stellten auch hier das Fundament für die Medizin von morgen dar. Durch eine sektorenübergreifende Versorgung und den konsequenten Einsatz digitalisierter Prozesse kann auch in Zukunft eine hochwertige Gesundheitsversorgung, die den Maßstäben von Qualität und Wirtschaftlichkeit entspricht, sichergestellt werden. „Voraussetzung für den Erfolg der erforderlichen Strukturveränderungen im Gesundheitswesen ist immer deren Praxistauglichkeit in den Regionen. Daher ist es sinnvoll, sektorenübergreifende Versorgung in Modellen auch hier in Sachsen-Anhalt zu erproben, um die Akzeptanz bei Leistungserbringern und Patienten zu fördern und damit eine Medizin ohne technische und administrative Barrieren zu gewährleisten“, so Wiedemann.

Es sei wichtig, bereits erfolgreich pilotierte, qualitativ gesicherte telemedizinische Anwendungen zügig in die Regelversorgung zu überführen, um sie damit allen gesetzlich Versicherten zugänglich zu machen.

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