Auf ganz schmalem Grat

Der 1. FC Magdeburg stemmt sich mit aller Macht gegen den Abstieg aus der zweiten Fußball-Bundesliga. Wie stehen drei Spieltage vor Saisonende die Chancen?

Der Schlusspfiff war vergangenen Sonnabend in der Magdeburger Fußball-Arena noch nicht richtig verhallt, da begann auf den Traversen wie in den Katakomben schon das große Rechnen. Was sind diese drei Zähler des tief im Abstiegskampf verwickelten 1. FC Magdeburg gegen Fürth (2:1) am Ende tatsächlich wert? Zumal eine Hiobsbotschaft hinzukam: Die unmittelbare Konkurrenz punktet seit Wochen ebenfalls, der Abstand auf den rettenden 15. Rang beträgt drei Runden vor Ultimo immerhin vier Zähler. Realistisch gesehen können die Blau-Weißen wohl nur noch mit den Relegationsspielen liebäugeln und selbst das wird mit dem härtesten Abschlussprogramm (Bochum/auswärts, Union/auswärts, Köln/zu Hause) der drei schlechtplatziertesten Teams eine ziemlich schwierige Kiste.

Die verschiedensten Theorien, wie verhindert werden kann, die 2018 erstmals nach der Wende erreichte zweite Liga – was eine ganze Region seinerzeit in schieren Taumel versetzte – schon nach einer Saison wieder verlassen zu müssen, schwirren in diesen Tagen durch die Gegend, die elektronischen Rechenschieber glühen. Eine der aufschlussreichsten Fragen dabei: Kann der Zweitliga-Neuling überhaupt Abstiegskampf? Seit fünf Jahren waren die Blau-Weißen in ihren jeweiligen Ligen immer oben dabei gewesen, nie schlechter als Vierter. Also ein völlig ungewohntes Gefühl, sich plötzlich im Tabellenkeller wiederzufinden, einen ganz anderen Druck zu verspüren. Zweimal, 2015 und 2018, stieg man sogar auf. Über Abstiegserfahrungen verfügt das gegenwärtige Team also kaum. Zudem wirken im Abstiegskampf zusätzliche Kräfte, so eine Erkenntnis der Sportwissenschaft, die manchmal nur noch das Schlechteste an die Oberfläche spülen. Das gelte insbesondere für Traditionsklubs.

„Ein Abstieg zieht Konsequenzen nach sich, die sich vor allem auch finanziell bemerkbar machen“, hatte der Hallenser Sportpsychologe Oliver Stoll dazu in der „Volksstimme“ angemerkt. „Eine solche Situation kann dazu führen, dass sie als Bedrohung empfunden wird. Spieler grübeln dann oft, wie sie damit umgehen können. Besser wäre, wenn sie sich auf die wirklich relevanten Aspekte konzentrieren würden, sprich das Fußballspielen. Deshalb muss diese Grübelei im Abstiegskampf am besten ausgeschaltet werden – zumindest in der Vorbereitung auf ein Spiel und im Spiel sowieso.“

Gewiss, die Vereinsführung schrieb den Klassenerhalt von Anfang an als einziges realistisches Ziel auf ihre Fahnen. Doch wer wollte so etwas, bei all der Begeisterung ringsum und den explodierenden Zuschauerzahlen, schon hören? Doch das Geschehen auf dem Rasen gab der Chefetage, leider, Recht. Was, trotz so mancher teils gelungener Vorstellung, einfach fehlte, waren positive Resultate, also Siege.

Was nützt es, wenn bei den Magdeburgern nach dem Studium der geradezu explodierenden und immer detaillierter werdenden Spieldaten plötzlich festgestellt wurde, huch, wir waren ja das bessere Team – mehr Pässe, dazu noch akurater geschlagen, weiter und schneller gelaufen, prima Eckenverhältnis. Nur in einer Spalte sah es von Woche zu Woche eher mau aus, beim Endergebnis nämlich. Da standen beim Gegner mehr Treffer zu Buche als man selbst erzielt hatte, wenn überhaupt. Da half kein Versprechen der Betroffenen, es in der nächsten Woche besser machen zu wollen. Hinzu kam eine eklatante Heimschwäche: nur zwei Siege stehen bisher in der gesamten Serie zu Buche. Und zusätzlich begann so manchem Betrachter zu dämmern, dass wohl die spielerische Qualität einzelner Akteure in Liga zwei ganz offensichtlich an ihren Grenzen angelangt war.

Wie nun also weiter? Die Fürth-Partie, bestritten mit einer Art Not-Elf, ist ein Hoffnungszeichen. Wie da gekämpft, nie aufgegeben wurde, einer sich für den anderen in die Schlacht warf, das beeindruckte die Fans schon. Apropos Fans: Ihre Reaktion auf den seit Monaten permanenten Kampf um den Klassenerhalt,  dieses Schlittern am Abgrund, ist schon außergewöhnlich: Keine Pfiffe, stattdessen lautstarke Anfeuerung – und bei den Auswärtsbegegnungen unterstützen Tausende den Club. „Fürth war ein Schritt in die richtige Richtung – und nicht mehr", dämpfte Trainer Michael Oenning jedoch übertriebene Erwartungen.

Wie denn seine Rechnung gegen den Abstieg aussehe, fragte ein „Sky“-Reporter Geschäftsführer Mario Kallnik am Wochenende. So etwas mache keinen Sinn, antwortete er und fügte kryptisch hinzu: „Wenn wir gewinnen, werden wir nicht zu viel lachen, wenn wir verlieren, nicht zu viel weinen.“ Wer von den blau-weißen Akteuren sich nach der Begegnung auch äußerte, alle forderten jetzt unbedingt drei Zähler in Bochum. Und danach müsse weiter gepunktet werden. Mittelfeld-Chef Jan Kirchhoff verbreitet Optimismus: „Von all den Teams da unten sind wir die besten.“ Abwehrchef Dennis Erdmann meint rigoros: „Was nützen uns jetzt all die besseren Werte? Wir brauchen Siege – und Punkte, Punkte, Punkte. Da ist mir auch egal, wie die zustande kommen.“

Und wenn alles nichts bringt, kann – Achtung, jetzt wird es ein wenig humoristisch – möglicherweise ein Blick in einen vom Deutschen Fußballbund (DFB) eigens herausgegebenen Leid-Faden „So klappts im Abstiegskampf“ Rettung verheißen; selbst wenn sich die Ratschläge eher an Trainer unterklassiger Klubs wenden. Im Gespräch mit dem Berichterstatter der Lokalpresse, so lautet eine Empfehlung an die Coaches, ein bisschen dicker auftragen. Sätze wie „Ich bin hundertprozentig vom Klassenerhalt überzeugt“ kommen immer gut. Auch ein „über unseren Endspurt werden sich noch manche wundern“ zeugt von Selbstbewusstsein. Sollte dennoch verloren werden, empfiehlt das Büchlein, tief durchzuatmen und die Mannschaftsansprache mit einem  „Männer, ich habe ganz starke Ansätze gesehen“ zu eröffnen. Wer Lebensweisheiten wie diese in seinem Sprachschatz weiß, für den sollte Abstieg eh ein Fremdwort sein … Rudi Bartlitz

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