„Der Gott des Geldes wird alles verschlingen“

Fußball steht weltweit an einem Scheideweg. Das lukrative Geschäft droht immer mehr außer Kontrolle zu geraten. Eine Bestandsaufnahme.
Ach, was waren das für Zeiten, als der Spruch, Geld schieße keine Tore, nahezu uneingeschränkt galt. Selbst wenn man als Fachmann einmal in einer TV-Diskussion nicht so recht weiter wusste, auf diesen banalen Satz konnte man sich gefahrlos zurückziehen. Der war zuverlässig – und brachte, seiner verbalen Schlichtheit wegen, wenn schon nicht lodernde Begeisterung, so in der Regel doch zustimmendes Nicken ein.

Aus, vorbei. Diese Zeiten existieren nicht mehr. Wenn Historiker später einmal einen exakten Termin für einen Paradigmen-Wechsel ermitteln wollen, der Sommer 2017 wäre ein prima Anhaltspunkt. Dafür genügt ein Stichwort: Neymar. Der Wechsel des brasilianischen Stürmers für die atemlos machende Summe von 222 Millionen Euro (der „Weltrekord“ lag bis dato bei 105 Millionen) von Barcelona nach Paris sprengte alle bis dahin bekannten Ketten. Kaum eine Gartenparty, kaum ein Verwandtentreff, keine Skatrunde, wo nicht mit Feuereifer darüber diskutiert worden wäre. Die Politik, die jede Welle gern mitreitet, mischte sich ein, Moralisten aller Couleur sprachen von menschenverachtenden Praktiken, von Sittenverfall schlechthin. Der Transfer war, weit über den Sport hinaus, eines der beherrschenden Themen des Sommers. Die Medien taten das Ihre: Es hätte niemanden verwundert, wenn die ARD extra einen „Brennpunkt“ dazu ins Programm gehievt oder das ZDF in einer Sondersendung besorgt gefragt hätte: „Was nun, Frau Merkel?“

Bloß, Satire hilft angesichts der Fakten wahrscheinlich nicht weiter. Zumal Neymar ganz und gar kein Einzelfall ist. Da fließen, nur wenige Tage später, unglaubliche 180 Millionen für den erst 20-jährigen Franzosen Mbappe, geistern Summen von einer Milliarde Euro durch die Gazetten, die der FC Barcelona und Real Madrid für ihre Stars Messi und Ronaldo als Ablöse festgeschrieben haben. Allein die drei Stürmer des vom Königshaus in Katar alimentierten Klubs Paris St. Germain (Neymar, Mbappe, Cavani) besitzen einen Marktwert von zusammen 460 Millionen Euro. In England wiederum beziehen die Klubs der Premier League allein aus Verträgen mit dem Bezahlfernsehen für vier Jahre unglaubliche 6,9 Milliarden Euro. Festzuhalten bleibt also: Erfolg ist, wie das Abschneiden gerade der spanischen und auch der englischen Klubs in europäischen Pokalwettbewerben zeigt, eben immer mehr käuflich. Oder andersherum: Geld schießt doch Tore!

Kein Wunder, dass viele sich angesichts derartiger Geldmengen und eines Menschenhandels unter Millionären fragen, wie viel weiter sich der Profifußball noch von der Lebensrealität seines Publikums entfernen kann, ohne beträchtlichen Schaden zu nehmen. „Der Gott des Geldes“, warnte Freiburgs Trainer Streich zu Recht, „ wird immer größer und irgendwann verschlingt er alles.“

„Bundesliga droht der Super-Gau“

Zumal sich erweist, dass alle bisher von den internationalen Verbänden UEFA und FIFA halbherzig eingeleiteten Regulierungsmaßnahmen nicht greifen. Das beispielsweise von der europäischen Föderation ins Leben gerufene „Financial Fairplay“, das – einfach ausgedrückt – dafür sorgen sollte, die Klubs daran zu hindern, nicht allzu viel mehr Geld auszugeben als sie einnehmen, dieses angebliche Fairplay erwies sich von Anfang an als Rohrkrepierer. Reiche Vereine fanden und finden stets einen Weg, mit einer Armada von Juristen und taktischen Winkelzügen das Regelwerk zu umgehen oder zu durchlöchern. So zahlte Neymar seine Ablöse an Barcelona, jene berüchtigten 222 Millionen Euro, angeblich aus eigener Tasche – nachdem ihn zuvor Katar für 300 Millionen (!) zum Botschafter der Fußball-WM 2022 im staubtrockenen Wüstenstaat gemacht hatte.

Zahlreiche Beobachter wiesen in den zurückliegenden Wochen zu Recht darauf hin, dass eine Selbstregulierung im europäischen Fußball kaum möglich erscheint. Weil das EU-Recht Eingriffe in den Wettbewerb, wenn überhaupt, nur unter ganz bestimmten und streng eingegrenzten Voraussetzungen erlaubt. Bekanntes Beispiel aus der Vergangenheit: Weil der europäische Arbeitsmarkt nach einheitlichen  Regeln (die z. B. Restriktionen im Sport für Ausländer verbieten) gestaltet ist, gelang es 1995 dem belgischen Fußballer Jean-Marc Bosman in einem Musterprozess durchzusetzen, dass Kicker nach Vertragsablauf ablösefrei zu einem anderen Klub wechseln können. Mit fatalen wirtschaftlichen Folgen für die Klubs.

Der jüngst immer wieder ins Spiel gebracht  und im  US-Sport (u. a. Eishockey, Basketball) praktizierte „Salary Cap“ dürfte in Europa ebenso wenig  funktionieren. Er sieht eine Gehaltsobergrenze für die einzelnen Vereine vor. Damit soll eine Konzentration der besten Spieler in wenigen Vereinen und damit eine grobe Disbalance in der entsprechenden Liga verhindert werden. In den USA – also in einem Staat und mit einer einheitlichen Gerichtsbarkeit – mag das praktikabel erscheinen, im zerstrittenen Europa mit seinen vielen nationalen Egoismen scheint eine Gehaltsobergrenze kaum durchsetzbar. Zumindest derzeit.

Wie so oft, schieben sich hier Politik und Sport gegenseitig die Verantwortung für Fehlentwicklungen zu. Die deutsche Kanzlerin kritisierte, ganz populistisch, die in diesem Sommer drastisch angestiegenen Ablösen. „Solche Summen kann kein Mensch nachvollziehen. Uefa und Fifa sollten die Regeln für Spielertransfers noch einmal anpassen, um für größere sportliche Balance zu sorgen“, sagte die CDU-Parteivorsitzende. Im Gegenzug warf Uefa-Chef Ceferin der europäischen Politik vor, mit ihrer Gesetzgebung solche (Fehl)Entwicklungen ja überhaupt erst zu ermöglichen. Auch hier gilt: Eine Einigung ist nicht in Sicht.

Woher, so ist zu fragen, kommen nun überhaupt all die Milliarden und Millionen, die dem Kicker-Wesen augenblicklich derart zusetzen? Spätestens zu Beginn dieses Jahrtausends waren Fußball-Spitzenvereine für potente Investoren immer mehr zu einer lukrativen Geldanlage geworden. Dieser Geldzufluss hält unvermindert an, ja, sein Tempo nimmt sogar rasant zu. Weil der weltweite Volkssport Nummer eins – zumindest in den führenden Ländern – zum reinen Business, zum Unterhaltungsgeschäft degradiert worden ist. Bestes Beispiel ist die englische Premier League, in der sich heute als Klubbesitzer US-Fonds, Milliardärs-Familien aus Übersee, russische Oligarchen und Scheichs aus Nahost tummeln.

Ihre Motive sind dabei höchst unterschiedlich. Geht es den einen um schnöde Gewinnmaximierung oder um die Nutzung des Fußballs als gigantische, weltweit einmalige PR-Plattform, werfen andere, wie die Potentaten aus der Wüste (die sich neben England auch in Frankreich in einen  Spitzenklub, Paris St. Germain, einkauften), riesige Geldsummen einzig aus Prestigegründen in den Ring. Motto: Einmal die Champions League gewinnen, es dem Abendland richtig zeigen … Mit China ist in den zurückliegenden beiden Jahren zudem ein neuer Global Player auf dem Markt erschienen. Nicht nur die eigene Liga lockt Akteure aus Europa und Südamerika mit exorbitanten Gehältern, chinesische Investoren machen sich mehr und mehr auch in Europa breit, hier vor allem in Italien (AC Mailand).

Auch wenn das weltweit marodierende große Geld also überall im Fußball die Sitten immer mehr verdirbt, die deutsche Bundesliga dürfte einer der Hauptbetroffenen sein. Sie hat, wie die „Frankfurter Allgemeine“ dieser Tage konstatierte, mit günstigen Eintrittspreisen und dem Verzicht auf Großinvestoren und Mega-Transfers, die Nähe zur Kundschaft bisher weitgehend behalten. Doch es gibt eine Kehrseite: Es wird immer schwieriger, im Kampf um globale TV-Einnahmen und europäische Trophäen konkurrenzfähig zu bleiben – und zugleich die Aura des Volkssports zu wahren, die das kostbare Erbe dieses Spiels ist. „Wie kann die Bundesliga diese Pole zusammenhalten?“, fragt das Blatt durchaus besorgt.

„Fairplay als Rohrkrepierer“

In der Tat ist nicht zu übersehen, wie die internationale Stärke der Bundesliga bröckelt. In den letzten zwanzig Jahren gab es in europäischen Wettbewerben nur zwei deutsche Erfolge – die schwächste Bilanz seit Gründung des Europapokals 1955. Der letzte gelang 2013 den Bayern, die seitdem Jahr für Jahr an Spanien gescheitert sind. Nun rüstet die europäische Konkurrenz gewaltig auf, während der prominenteste und teuerste Bayern-Zugang, der Kolumbianer James Rodriguez, nur ein geliehener Ersatzmann von Real Madrid ist. Selbst Bayern-Präsident Hoeneß sieht die Chancen in der Champions League schwinden. So droht ein Super-Gau für die Strahlkraft der Bundesliga: ein FC Bayern, der national weiter nach Belieben dominiert, international aber nicht mehr mit Real & Co. mitkommt.

Was also tun? Kritiker verweisen immer häufiger darauf, die in Deutschland geltende 50+1-Regel endlich  zu kippen. Sie besagt: Der Verein muss die Stimmenmehrheit besitzen, um so nicht das Sagen im eigenen Haus gegenüber internationalen Inves-toren zu verlieren. Dieses Beharren wiederum, behaupten dieselben Kritiker, hindere die meisten Bundesligisten daran, fremdes Kapital in die Vereine fließen zu lassen und damit sportlich aufzurüsten, um den Rückstand gegenüber der ausländischen Konkurrenz nicht noch größer werden zu lassen. Mit Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim und de facto Leipzig gibt es allerdings bereits vier sogenannte Investorenklubs. Mit Hannover kommt wahrscheinlich bald der fünfte hinzu. Die Frage rückt also immer näher: Wann wird der Druck – gebündelt mit weiterer internationaler Erfolglosigkeit – derart groß, um die Tore für Investoren zu öffnen? Zumal von der augenblicklichen Regelung Serienmeister FC Bayern am meisten profitiert, weil sein finanzieller Vorsprung zementiert wird.

„Wo es die meiste Kohle gibt“

Und noch etwas anderes förderte die Geldschwemme der letzten Jahre zutage: Die Erkenntnis nämlich, dass die Spieler – und hier natürlich zuallererst die Super-Stars unter ihnen – immer mehr Macht erhalten. Eine Macht, die sich vor allem  aus den aus dem Ruder gelaufenen Gehältern speist. Die aus Teamplayern, wie eigentlich gedacht, Ich-AG in Reinkultur formte. Zur Ehrenrettung der Spieler muss sicher angefügt werden: Sie sind es nicht allein, die das jeweilige Finanzsystem mit seinen irrwitzigen Summen um sie herum dirigieren. Deutlich gesagt: Dazu wären sie in der Regel überhaupt nicht in der Lage. Dahinter hat sich über die Jahre eine ganze Schattenwelt aus Beratern und Firmen aufgebaut, die das Ganze – bis hin zum Steuerbetrug, wie die Enthüllungsplattform „Football Leaks" schrieb – organisiert und managt. Berater, die ihre Fühler immer weiter nach unten ausstrecken, selbst bis in die Regionalliga. Bayern-Chef Hoeneß hat jetzt gewarnt: „Wir Vereine müssen aufpassen, dass nicht die Spieler und die Berater die Macht in den Vereinen übernehmen, sondern dass die Verantwortlichen in den Vereinen immer noch das Sagen haben."

Es ist inzwischen so, dass laufende Verträge kaum noch jemanden interessieren, jeder rennt dorthin, wo es die meiste Kohle gibt. Und wenn das partout nicht hilft, wird eben gestreikt (siehe Dortmunds Dembele, der so seinen Wechsel nach Barcelona erzwang). In einem anderen Verein angekommen, kickt man vor sich hin und wartet auf das nächstbes-te Angebot. Selbst  die Sätze, die man bei Abschied oder Ankunft von sich gibt, so spottete eine große deutsche Tageszeitung unlängst, seien mittlerweile im Regelbuch des Welt-Fußball-Verbandes in § 45, Absatz 11 („Journalisten fragen, Fußballer antworten“) verbindlich festgelegt.

So laute auf die Journalistenfrage „Warum haben Sie bei Verein XY unterschrieben?“ die zwingende Antwort: „XY hat sich sehr um mich bemüht, mir das Gefühl großer Wertschätzung gegeben, und ich hatte ganz hervorragende Gespräche mit dem Trainer.“ Der Journalist weiter: „Toll. Was haben Sie vor bei Ihrem neuen Verein?“ Daraufhin der  Fußballer: „Als Teamplayer, der ich auf all meinen 32 Stationen bisher war, möchte ich der Mannschaft helfen, ihre Ziele zu erreichen und langfristig etwas aufzubauen.“ Achso, fast vergessen, einen anderen Kulturkreis will er gleichfalls kennenlernen … Rudi Bartlitz

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