Durchboxer

Welcher gebürtige Magdeburger ist eigentlich so weit über die Stadtgrenzen bekannt wie Ulf Steinforth? Jetzt wird der Boxpromoter und Sudenburger Bierbrauer 50 Jahre alt. Eine Hommage an den Menschen, den die Öffentlichkeit nicht sieht.
Im August, vor sieben Jahren, bestieg ich ein Taxi. Das trug an der Seite eine Werbeaufschrift der Firma „Galaxis Automaten“. Genau da wollte ich hin, also eigentlich zu „Sport Events Steinforth“ oder kurz SES. Hinter dem Namen „Galaxis“ und „SES“ steht nämlich derselbe Mann: Ulf Steinforth. Der Taxifahrer hatte zwar keine Ahnung, für wen er da Werbung fuhr, aber den Boxstall kannte er. Beiläufig sagte er so einen Satz wie: Der Steinforth macht doch Millionen. Im ersten Moment war ich überrascht, wie der Fahrer darauf gekommen war. Im zweiten wurde mir bewusst, wie viel Schein Fernsehbilder vermittelten und was Menschen alles in die Bilder hineininterpretierten. Natürlich war das beste Pferd im SES-Boxstall, Robert Stieglitz, seit einem Jahr WBO-Weltmeister im Supermittelgewicht. Seine Kämpfe wurden damals noch live vom ZDF übertragen. Man kannte die millionenschweren TV-Verträge von Universum Box-Promotion und Sauerland Event (ARD). Der Magdeburger Boxstall war 2010 mit einigen Erfolgen in die Liga der Großen aufgerückt. Ulf Steinforth handelte im selben Jahr einen Vertrag mit SAT.1 aus. Doch für Gewinne in einer Euro-Sphäre von Millionen – Fehlanzeige. Offensichtlich hatten die bunten TV-Bilder den steinigen Weg, die Risiken und Rückschläge, die hinter dem Unternehmer Ulf Steinforth lagen, überblendet.

Unzählbare Straßenkilometer und Flugmeilen hat der am 25. August 1967 in Magdeburg geborene Ulf Steinforth schon zurückgelegt. Mit ihm konnte man mitten in der Nacht aufbrechen, um am Vormittag pünktlich bei einer Pressekonferenz im slowenischen Ljubljana anzukommen. Nach gut 24 Stunden waren 2.000 Kilometer geschafft und auf der A14 die Magdeburger Domtürme zu sehen. Der Promoter, der oft selbst am Steuer sitzt, schwärmt stets über diese heimatliche Ankommensverheißung. „Zuhause ist es doch am schönsten.“ Solche Sätze spricht er mal enthusiastisch, mal zärtlich aus. Und es will einem aufgehen, als dort die Quelle für seine nicht zu bändigende Energie liegt.

Die Zeit der DDR war oft mit dem Wort Mangelwirtschaft verknüpft. Doch zum Mangel hatte sich der Einfallsreichtum von Menschen gesellt. Zum Ende seiner Schulzeit stellte Steinforth schon T-Shirts her. Solche mit Aufschriften und Bildern waren damals begehrte Artikel. Er brachte Leute zusammen, die Siebdruck konnten, besorgte die Shirts und kümmerte sich um den Absatz. Mit 22, als die Mauer fiel, wollte er sein Glück im Westen versuchen. Seine Brüder hatten der Heimat bereits den Rücken gekehrt. Der Ausflug nach Hamburg blieb ein kurzer. Anfang 1990 holte er sich – damals noch vom Rat der Stadt Magdeburg – eine Gewerbegenehmigung. Die hängt heute noch in seinem Büro, weil es die erste einer neuen Ära im Osten war. Man muss schon irgendwie ein Tausendsassa sein, um in undurchsichtigen Zeiten ein Ziel verfolgen zu können. Steinforths wesenseigene Umtriebigkeit muss ihn zu Zeiten an Orte getragen haben, um dort die richtigen Menschen zu treffen. Den ersten Coup landete er mit einem Warenautomatengeschäft. Von Rostock bis Dresden gab es Automaten für Kondome, Parfüm und anderes. Er fuhr die Stellen mit den Automaten an, wartete sie, bestückte sie neu und entnahm das darin befindliche Geld. Mal steckten nur 5 D-Mark drin, mal 20. Die Menge macht’s bei fast 1.000 Automaten.

1997 holte ihn ein Freund als Sponsor zu den Amateuren vom 1. Boxclub Magdeburg. Steinforth fand das Boxen als einstiger Ringer klasse, aber Organisation und Veranstaltungsrahmen in der Hermann-Gieseler-Halle unprofessionell. Also warf er das eigene Organisationstalent in den Ring, wurde 1998 Präsident des Vereins, führte die Boxer zur Deutschen Meisterschaft. 1999 kam Sauerland Event mit Sven Ottke nach Magdeburg und der füllte damals die noch Bördelandhalle genannte GETEC-Arena. Steinforth handelte einen Kontrakt als Co-Veranstalter aus, weil er das Box-Terrain an der Elbe den Kölnern nicht einfach überlassen wollte. Profiboxen – das roch nach den Karrieren von Henry Maske und Axel Schulz, nach Ruhm und Ehre. Einer wie Steinforth, dem bisher irgendwie alles gelungen war, warf sich mit ganzer Energie und Lebenszeit in das Geschäft. Profis waren schnell angeworben. Mit den erfolgreichen Amateuren Lukas Konecny, Dirk Dzemski und Malik Dziarra machte er die ersten Verträge. Am 29. April 2000 ertönte in Dessau der erste Rundengong für die erste Profiboxgala Made in Magdeburg.
Regionale Sponsoren und begeisterte Boxfans im weiteren Umkreis der Landeshauptstadt trugen das Konzept. Live-TV, lukrative Verträge und größere Werbegelder lagen in weiter Ferne. Durchboxen hieß das Motto. Steinforth zerrte mit Zeit und Investitionen am eigenen Leben. In den Nächten mussten wenige Stunden zum Schlaf reichen. Die eigenen Ersparnisse waren bald aufgebraucht. Seine SES-Profis schindeten sich indes unter dem Trainer Werner Kirsch (s. Nachruf) und der Promotor verbrannte Benzin und verschliss Motoren. Ohne die Erfindung des Mobiltelefons wäre das vielfältige Geflecht, das ein Ulf Steinforth organisatorisch zwischen internationalen Verbänden, Offiziellen, weltweiten Boxmanagern, Hallenbetreibern, Sponsoren, Förderern und Fans stricken und aufrechterhalten musste, nicht denkbar.

Im Januar 2002 hätte der erste Achtungserfolg kommen können. Schwergewichtler René Monse boxte gegen Luan Krasniqi von Universum Box-Promotion in Magdeburg um die Europameisterschaft. Ein Sieg war Monse trotz guter Leistung nicht gegönnt. Supermittelgewichtler Malik Dziarra unterlag Ende desselben Jahres Mario Veit. Das Talent Robert Stieglitz stand gerade erst ein gutes Jahr unter Vertrag und war 21 Jahre jung.  Die sportlichen Rückschläge sieht jeder, die wirtschaftlichen im Profigeschäft eher nicht. Ulf Steinforth wäre aber nicht er selbst, wenn er nicht alles auf eine Karte setzen könnte. In einer schweren Zeit hat er verkauft, was zu verkaufen war, z. B. die Warenautomaten und hat sprichwörtlich Haus und Hof als Sicherheiten hergegeben. So wie Boxer von Kampf zu Kampf denken müssen, dachte der Boxmanager von Veranstaltung zu Veranstaltung. Werden ausreichend Tickets verkauft? Können genug Sponsoren gewonnen werden? Welchen Preis verlangen die gegnerischen Boxer? Was kassieren die Verbände für die Rechte an einem Titelkampf? Technische Probleme in den Hallen, Absprachen mit allen Beteiligten. Hunderte Telefonate an manchem Tag. Jedes Event war wie ein Neuanfang. Es ging von Null auf Hundert oder zurück auf Los, ohne Geld einzustreichen.
Als Robert Stieglitz 2009 im zweiten Anlauf in Budapest Weltmeister wurde, war manches für Ulf Steinforth einfacher. Beispielsweise die Verhandlungen mit TV-Sendern. Doch schon 2010 stieg das ZDF aus dem Boxgeschäft aus. 2014 Schließlich auch die ARD. RTL wollte ausschließlich Klitschko-Kämpfe und SAT.1 fuhr Box-Übertragungen ebenso zurück. Wer das Handtuch in dieser Zeit nicht warf, wer an seine Sportler und die eigene Idee glaubte, war Ulf Steinforth. Und schließlich der MDR, mit er eine Zusammenarbeit für die Zukunft vereinbaren konnte. SES hatte in Magdeburg klein angefangen und keinen Apparat aufgebaut, der finanziell ausufert. Boxen als Geschäft – das ist nicht nur Sport, der von Helden und Siegern abhängt, sondern vor allem von solchen Menschen, die sich mit einem Leben ins Zeug legen können und andere für sich und das Unternehmen begeistern können.

Vielleicht weil so viele Unwegsamkeiten im Boxring und um ihn herum eine Rolle spielen können, hat Ulf Steinforth 2014 die Marke Sudenburger Bier wiederbelebt. Vielleicht aber auch, weil er gar nicht ohne Ideen und Unternehmungen sein kann. Mittlerweile steht im Magdeburger Brauhaus in der Brenneckestraße eine neue Brauanlage und deren Regelbetrieb startet in diesen Tagen. Auch dafür legt sich Steinforth wieder ins Zeug. Sieben Tage die Woche, immer erreichbar, stets das Telefon am Ohr – mit dem es wie verwachsen ist – koordiniert er neben dem Boxen nun noch ein Braugeschäft. Wer weiß da eigentlich, dass er außerdem historische Automaten sammelt, an keinem Trödelmarkt vorbeikommt und eine umfangreiche Sammlung zu Magdeburger Lebensmittelwerbeartikeln besitzt. Ach ja, die Familie mit Ehefrau Peggy, selbst Stütze des Unternehmens, und seine Kinder – die nennt er sein Heiligtum – dürfen bei allem nicht vergessen werden. Wie er diese Umtriebigkeit, mit ständigen Auf und Abs, mit Risiken und unkalkulierbaren Größen unter einen Hut bekommt, wird ein Geheimnis seiner tieferen Persönlichkeit bleiben.

Aus Bildschirmen und Gerede kann man jedenfalls nicht herauslesen, wie ein Ulf Steinforth tickt, noch nicht einmal aus diesem Artikel. Am 25. August feiert der Magdeburger seinen 50. Geburtstag und bleibt hoffentlich lange von seinen Ideen beseelt und mit der dazu nötigen Energie ausgestattet. Mancher Moment mag ihm im Leben eine glückliche Wendung beschert haben. Aber alles wäre nichts, wenn er nicht dieser Durchboxer wäre. Thomas Wischnewski

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