Maschinelles Tempospiel

Albin Lagergren, Linkshänder und schwedischer Nationalspieler (hier beim Miesner-Turnier in Ilsenburg am Ball), ist der einzige Neuzugang des SC Magdeburg. Foto: Sieglitz

In gut einer Woche geht es in der Handball-Bundesliga wieder los. Der SC Magdeburg tanzt auf drei Hochzeiten. Cheftrainer Bennet Wiegert im Interview  mit MAGDEBURG KOMPAKT.

Der Bundesliga-Handball geriet in den zurückliegenden Wochen doch etwas aus der Sichtweite des Publikums. Dafür schoben sich in Magdeburg die Fußballer mit ihrem spektakulären Aufstieg in die zweite Liga umso mehr in den Vordergrund. Nun wollen die Wurfkünstler dieses Bild des dominierenden großen Balls wieder korrigieren, mit dem kleineren Spielgerät nachziehen. Nach einer 90-tägigen Sommerpause starten die Schützlinge von Cheftrainer Bennet Wiegert am 23. August mit einer Auswärtspartie bei der wiederum hoch eingeschätzten MT Melsungen in die neue Spielzeit. MAGDEBURG KOMPAKT sprach mit dem 36-jährigen Coach, der zugleich Geschäftsführer Sport beim SCM ist, über Ziele und Konkurrenten sowie über die  Perspektiven des schnellen Mannschaftssports in Deutschland.

MAGDEBURG KOMPAKT: In den Vorbereitungspartien legte der SCM gleich flott los. War bis zum Wochenende ungeschlagen, fuhr zwei Turniersiege ein. Also alles paletti?
Bennet Wiegert: Ja, man kann sagen, dass ich mit der Vorbereitung alles in allem zufrieden bin. Natürlich ist es auch in der Vorbereitung schön zu gewinnen. Obwohl ich das Ganze, das sage ich deutlich, keineswegs überschätzen  will. All das hat für die Saison noch nicht allzu viel Wert.

Nun fiel auf, dass bei der diesjährigen Sachsen-Anhalt-Tour, die den Verein quer durch das Bundesland direkt zu seinen Fans vor Ort führte, stärkere Gegner als in den Vorjahren warteten. Dazu gehörten Erstligisten aus Skandinavien ebenso wie Bundesligisten und die japanische Nationalmannschaft.
Das war mein ausdrücklicher Wunsch. Es kann doch keinem gefallen – dem Zuschauer nicht, dem Gegner nicht, und uns auch nicht –, wenn eine Mannschaft, wie es in den Vorjahren zuweilen der Fall war, meilenweit überlegen ist. Wenn am Ende ein Endergebnis von 83:8 steht, da hat niemand Spaß dran. Es war mir wichtig, diese Spiele der Sommertournee als eine Form des Trainings anzusehen, eines intensiven wohlgemerkt. Man könnte auch sagen: Hohe Spielintensität ersetzte zuweilen eine hohe Trainingsintensität.

Von allen 18 Teams meldet der SCM für die neue Saison die wenigsten Wechsel. Nur Nemanja Zelenovic (nach Göppingen) ging, für ihn kam im rechten Rückraum der schwedische Nationalspieler Albin Lagergren. Sie gehen also ziemlich eingespielt in die Saison. Ein Vorteil gegenüber der Konkurrenz?
Das könnte man so sehen. Die Laufwege sind allen bekannt, es gibt nur wenig umzustellen. Wichtig wird  es sein, unseren schwedischen Neuzugang Albin Lagergren so schnell es geht in unser System zu integrieren. Ich hoffe also darauf, dass unser Eingespieltsein ein Vorteil wird. Denn Kontinuität ist generell gut.

Bedeutet Kontinuität ebenso, es wird sich an der Art, Handball zu spielen, beim SCM in der Saison 2018/19 wenig ändern?
An den sogenannten Basics werden wir nicht rütteln. Unsere Grundphilosophie wird bleiben, einen Handball zu zeigen, der auf einem guten Torhüterspiel, einer kompakten Abwehr und einem hohen Tempo beruht. Soll heißen: Magdeburger Handball  zeichnet hohe Geschwindigkeit, viele Tore,  Kampf und Leidenschaft aus. Wenn heute in der Bundesliga von der Tempospiel-Maschine SCM gesprochen wird, ist das ein Stempel, auf den ich stolz bin. Wir werden vieles sein, aber auf keinen Fall farblos.

Mit welchem Ziel geht denn nun diese Tempospiel-Maschine ins Rennen auf erneut drei Hochzeiten, nachdem sie in der vergangenen Liga-Saison auf den vierten Platz geklettert ist und sowohl im nationalen Pokal als auch im EHF-Cup das Final Four erreichte?
Ein Ziel in der Liga werde ich als Trainer nicht vorgeben, das soll die Mannschaft selbst setzen. Ich finde, ein derartiges Herangehen, Zielvereinbarungen zu markieren, macht Sinn, weil sich so die Spieler selbst einschätzen und dann natürlich auch in die Pflicht genommen werden können.

Gilt das ebenso für die Pokalwettbewerbe?
Unsere Anhänger können sicher sein, dass uns die Niederlage im Halbfinale des EHF-Cups im Mai vor eigenem Publikum gegen die Franzosen aus St. Raphael schon angepickt hat. Für mich persönlich ist dieses Kapitel jedenfalls noch nicht endgültig geschlossen. Es scheint ja nicht ausgeschlossen, dass wir uns noch einmal um die Ausrichtung bewerben können. Die Chance, das Resultat von 2018 zu korrigieren, hätte ich schon gern noch einmal.

Zurück zur Liga. Wird sich die zunehmende Ausgeglichenheit an der Spitze fortsetzen, die sich Ende letzter Saison ja schon andeutete, als die als Meister fast schon feststehenden Rhein-Neckar  Löwen noch von Flensburg abgefangen wurden?
Ja, ich denke, die Spitze wird noch enger zusammenrücken. Der Kampf um die Meisterschaft wird noch spannender werden. Es spielen noch mehr Mannschaften oben, nicht nur die bisherigen „großen Drei“ Kiel, Flensburg und Mannheim. Dahinter lauern Melsungen, die Füchse Berlin, Hannover und wir. Es kann also sein, dass ein Team eine durchaus beachtliche Saison spielt und doch auf Platz sieben landet. Ich würde mich zudem nicht wundern, wenn der neue Meister im nächsten Jahr so viele Minuspunkte besäße wie kein Titelträger vor ihm.

Coach Bennet Wiegert

Nun mehren sich in letzter Zeit Stimmen, die der Bundesliga das Prädikat „Beste Liga der Welt“ mittlerweile absprechen. Frankreich, wird gesagt, hätte sich, auch aufgrund des Abschneidens in der Champions League, an Deutschland vorbeigeschoben. Wie sehen Sie die Situation?
Derartigen Meinungen kann ich nicht zustimmen. In Deutschland gibt es eben nicht nur zwei, drei oder höchstens vier Spitzenteams wie in Frankreich, Ungarn oder Spanien, sondern eine Ausgeglichenheit, die unerreicht ist. Bei uns kann in der oberen Tabellenhälfte jeder nahezu jeden Tag jeden schlagen. Das ist für mich das entscheidende Kriterium für die Stärke einer Liga.

Und trotzdem wandern immer mehr internationale Stars aus Deutschland ab, ohne dass ausgemachte Weltklasseleute aus dem Ausland nachkämen. Allein in diesem Sommer kehrten die Toft-Hansen-Brüder aus Dänemark, deren Landsleute Möller und Mortensen (immerhin Torschützenkönig 2018), der Schwede Ekdahl du Rietz und der Franzose Mahe der Bundesliga den Rücken. Andere, wie der Isländer Palmarsson, machen gleich eine Kurve um sie. Haben Sie, auch in Ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer Sport beim SCM, eine Erklärung dafür?
Natürlich ist die Fluktuation von Topspielern nicht zu übersehen. Darin liegt auch eine gewisse Gefahr für die Liga. Aber bei denen, die gehen, handelt es sich in der Mehrzahl um ältere Spieler. Viele von denen wollen sich den harten Job in Deutschland und die damit verbundenen Belastungen nicht mehr antun. Sie gehen in Länder, wo sie pro Saison vielleicht eine Handvoll Begegnungen haben, in denen es richtig zur Sache geht. Sie werden körperlich also nicht so beansprucht wie hier, können dadurch ihre Laufbahn um ein paar Jahre ausdehnen. Das ist für Profis nicht unwichtig, der Körper ist ihr Kapital. So können sie länger gutes Geld verdienen.

Sehen Sie denn einen Weg, wie die körperliche Überbeanspruchung der Profis in Deutschland eingedämmt werden könnte? Wären die Reduzierung der Liga auf weniger Mannschaften oder die Einführung von Play-offs Wege in diese Richtung?
Hier ist vor allem die Vereinigung der Handball-Bundesliga (HBL) gefordert. Sie muss Vorschläge machen, wie die Belastungen, die zweifellos bestehen, in den Griff zu bekommen sind.

Hätten Sie eine Idee?
Wie gesagt, das muss von der Liga kommen. Aber vielleicht könnte man, um die Zahl der Partien zu reduzieren, einmal über den Austragungsmodus des DHB-Pokals nachdenken. Es dürfen aber meiner Meinung keine Maßnahmen eingeleitet werden, die die Liga und ihr Niveau absenken. Was die Play-offs betrifft, da bin ich kein Freund von. Da wird dem Zufall ein zu großer Platz eingeräumt. Fallen in den Play-offs mehrere Schlüsselspieler aus, kann das von entscheidender Bedeutung sein. Plötzlich bist du raus. Meister sollte aber werden, wer sich über eine gesamte Saison als Bester erwiesen hat, also die meisten Punkte eingefahren hat. Die Tabelle lügt nicht.

Noch etwas zu den äußeren Bedingungen. Die Liga hat sich in Abstimmung mit dem übertragenden TV-Sender Sky entschlossen, Anwurfzeiten zu ändern, den Sonntagmittag wieder weitgehend aus dem Programm zu streichen. Inwieweit tangiert das den SCM?
Als Trainer hatte ich mit 12.30 Uhr am Sonntag kein Problem und unsere Zuschauer in Magdeburg offenbar ebenso wenig, wie die konstanten Besucherzahlen zeigen. Vielleicht ist jetzt sogar ein kleiner Vorteil dahin, den wir anfangs gegenüber anderen Teams besaßen, weil wir uns frühzeitig und sehr konsequent auf den veränderten Biorhythmus eingestellt hatten. Fragen: Rudi Bartlitz


So geht der SC Magdeburgin die neue Saison

Mit einem Kader von zunächst 17 Athleten geht der SC Magdeburg in die neue Bundesliga-Saison. Einziger Neuling ist im rechten Rückraum der schwedische Nationalspieler Albin Lagergren. Es wird allerdings noch etwas dauern, bis sich der Linkshänder in die Abläufe bei den Grün-Roten hineingefunden hat. Dennoch erhofft sich der Trainer Bennet Wiegert viel von dem für einen Rückraumspieler nur 1,86 Meter großen 25-Jährigen: „Er benötigt noch ein bisschen Zeit. Von seinen spielerischen Fähigkeiten bin ich überzeugt. Wenn er zehn Zentimeter größer wäre, würde er jetzt bei einem internationalen Top-Klub wie Paris St. Germain oder beim FC Barcelona spielen.“

Bedauert wird beim SCM, dass sich ein geplanter vorzeitiger Wechsel von Kreisläufer Moritz Preuss, der in Magdeburg einen Vertrag ab Juli 2019 besitzt, nicht realisieren lässt. Der VfL Gummersbach nahm eine dem Nationalspieler gegebene Zusicherung, schon 2018 nach Magdeburg gehen zu dürfen, plötzlich zurück. Für den nach einer Meniskus-Operation langzeitverletzten Linksaußen Lukas Mertens, dessen Vertrag in der Sommerpause bis 2022 verlängert wurde, springt vorerst Justus Kluge von den SCM-Youngstern in die Bresche.

Wann Trainer Bennet Wiegert wieder auf Shooter Michael Damgaard, der an einer Knieverletzung laboriert, zurückgreifen kann, ist unklar. „Mit der gesamten Situation bin ich, da mache ich kein Hehl draus, ziemlich unzufrieden. Ich vermisse die richtigen Aussagen, weil alles, was sich um die Verletzung rankt, bei der dänischen Nationalmannschaft passiert ist.“ Damgaard ließ verlauten, möglichst schon beim ersten Heimspiel Anfang September, dem Ostderby gegen den SC DHfK Leipzig, wieder dabei sein zu wollen.

Im Team stehen derzeit Spieler aus zehn Nationen (Deutschland, Kroatien, Slowenien, Schweden, Dänemark, Norwegen, Spanien, Polen, Russland, Österreich); der Ausländeranteil  des Stammkaders liegt bei 81 Prozent. Bei etwa der Hälfte der Akteure laufen zum Ende der Saison die Verträge aus.

Nach Einschätzung von Geschäftsführer Marc Schmedt war die Spielzeit 2017/18 für den SCM die  erfolgreichste „der letzten zehn Jahre“.  Von den „wirtschaftlichen Möglichkeiten her rangieren wir weiter zwischen Platz vier und sieben, von  den Top-drei-Klubs trennen uns weiter Welten.“ Rudi Bartlitz

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