Plötzlich Mitfavorit?

Wollen den nächsten Schritt in Richtung Spitze gehen: die SCM- Akteure Mads Christiansen (l.) und Matthias Musche. Foto: Peter Gercke.

Handball-Bundesligist SC Magdeburg sieht sich vor dem Saisonstart in die Rolle eines Mitfavoriten gedrängt. Die Vorbereitung läuft diesmal mit dem gesamten Kader.
Nanu, was ist denn da los? Ist der SCM plötzlich zu einem der Geheimfavoriten für die neue Meisterschaft aufgestiegen? Die Grün-Roten auf Augenhöhe mit Kiel, den Rhein-Neckar Löwen oder Flensburg? Diesen Eindruck suggerieren zumindest jüngste Umfragen, die wie immer gern im Vorfeld einer Saison angestellt werden. Nun könnte man diese Meinungen als nicht ernstzunehmende Gedankenflüge oder als Ablenkungsmanöver missgünstiger Konkurrenten abtun. Wenn, ja wenn nicht diejenigen, die die Elbestädter diesmal ganz weit vorn sehen, so etwas wie versammelten deutschen Handball-Sachverstand verkörperten.
Kiels langjähriger Meistertrainer Alfred Gislason, ansonsten nicht gerade bekannt für gewagte Prognosen, lehnt sich ganz weit aus dem Fenster: „Magdeburg hat super verpflichtet. Der SCM kann um den Titel mitspielen." Da wollte der Coach des aktuellen Meisters Rhein-Neckar Löwen, Nikolaj Jacobsen, nicht zurückstehen. Neben den „Großen Drei“ (Flensburg, Kiel und sein eigenes Team) hat er eben auch den SC Magdeburg auf dem Zettel. „Ich gehe davon aus, dass in dieser Saison mehr Mannschaften als zuletzt um die Meisterschaft spielen." Und Ex-SCM-Ikone Stefan Kretzschmar legte sich als neuer Sky-Experte und Moderator auch schon fest: „Mit Magdeburg, Melsungen und Berlin kommen drei Mannschaften zu den Top 3 dazu, das kann ein Sechskampf um die deutsche Meisterschaft werden.“
Die Experten haben bei ihren Voraussagen wohl vor allem eines in Blick: jene einmalige Serie des SCM von 19 Liga-Begegnungen ohne Niederlage. Sie hatte in der ersten Jahreshälfte 2017 deutschlandweit für Furore gesorgt. Und diese Serie wurde ja nur unterbrochen, weil die Saison Anfang Juni eben zu Ende war. De facto hält sie also weiter an…
So sehr derartiges Lob – ob man es zugibt oder nicht – schmeichelt, so sehr heben die Magdeburger abwehrend die Hände: In einer solchen herausgehobenen Position sehen wir uns keineswegs! Der Abstand zu den drei Großen, so hat Geschäftsführer Marc Schmedt in der Vergangenheit wiederholt angemerkt, sei schon allein finanziell erheblich. Zahlen, die das belegen, liegen allerdings nicht vor.
Hinzu kommt noch etwas anderes: Mit der Formulierung der eigenen Saisonziele tat sich der SCM in den vergangenen Jahren, sagen wir es einmal dezent, doch recht schwer. Man stelle sich durchaus Ziele, so hieß es auf Nachfragen oft verklausuliert,  doch würden diese „nicht nach außen kommuniziert“. Diese Taktik (wenn es denn eine war) ließ sich so lange einigermaßen erfolgreich vertreten, so lange man am Ende im Mittelfeld einkam. Doch der jüngste Leistungsaufschwung – in diesem Jahr Fünfter, punktgleich mit dem Vierten und Teilnehmer am Final Four des EHF-Cups – sowie  generell die Tatsache, dass der SCM im Jahr 2017 wieder zu den Spitzenteams im deutschen Handball aufrückte, lässt die Ansprüche nicht nur im berühmten Umfeld steigen.
Auch aus der Mannschaft vernimmt der aufmerksame Zuhörer einige neue Töne, selbst wenn das Wort Champions League aus den Reihen der Spieler (noch) nicht fällt. „Wir gehen mit großen Ambitionen in die neue Saison“, sagt beispielsweise der dänische Nationaltorhüter Jannick Green. „Wir wollen besser abschneiden als in der vergangenen Saison“, kündigte der schwedische Außen Daniel Pettersson an. Da war man immerhin Fünfter. „Ich hoffe außerdem, dass wir es wieder ins Final Four im EHF-Cup schaffen und auch im Pokal weiterkommen als im vergangenen Jahr.“ Bei so viel Optimismus wollte offenbar selbst der Manager nicht zurückstehen: „Die Champions League muss unser mittelfristiges Ziel sein.“, sagte Schmedt  in einem Volksstimme-Interview. „Die Frage ist nur, in welchem Zeitraum es realisierbar ist. Aber wenn man wie wir die vergangene Saison punktgleich mit dem Vierten abgeschlossen hat, möchte man natürlich auch den nächsten Schritt gehen.“
Damit dieser erfolgreich wird, gibt das Team in diesen Tagen richtig Gas. Der Schweiß fließt in Strömen. Und noch ist nicht einmal Halbzeit in der fünfwöchigen Vorbereitung auf die neue Spielzeit, die am 27. August (erstmals zu ungewöhnlicher Zeit am Sonntagmittag 12.30 Uhr) mit einer Heimpartie gegen Aufsteiger TV Hüttenberg startet; eine Woche zuvor muss der SCM schon in der Pokal-Vorrunde ran.
Es dürfte für die Grün-Roten nicht von Nachteil sein, dass Cheftrainer Bennet Wiegert diesmal – im Gegensatz zur Olympiasaison 2016 – der gesamte Kader  in der Vorbereitung zur Verfügung steht. Selbst wenn Resultate von Testspielen Schall und Rauch sein mögen: Angstgegner DHfK Leipzig (gegen den man noch kein einziges Ligaspiel gewann) bekam in der vergangenen Woche bei der 24:31-Niederlage zu spüren, mit welcher Ernsthaftigkeit die Elbestädter sich der neuen Saison nähern. Wie akribisch sich der SCM vorbereitet, mag ein vielleicht unscheinbares Beispiel verdeutlichen. Erstmals wird im Training ein sogenannter Voice-Check durchgeführt. Auf deutsch: eine Sprachschema-Erkennung. Entscheidend ist dabei nicht, was der Spieler antwortet, sondern wie. Bei drei Neulingen aus drei neuen Ländern (Spanien, Russland, Polen) und damit drei neuen Sprachen macht das durchaus Sinn. Rudi Bartlitz

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