Von Tradition zu Träumen

Tom Schwarz – mit dem nächsten Kampf hoch hinaus oder abwärts? Foto: Peter Gercke

SES-Box-Hoffnung Tom Schwarz präsentiert sich am 15. September in der Magdeburger Stadthalle. Mit seinem neuen Trainer Ulli Kaden will der unbesiegte Schwergewichtler in ein paar Jahren nach dem WM-Titel greifen.

Wo ansonsten Schlagerbarden, Spaßmacher, Rock-Stars oder Balletttänzer ihre Künste wohlfeil darbieten, zischen diesmal knallharte Fäuste durch die Luft. Magdeburg steht wieder einmal ganz im Banne des Profiboxens. Und das noch an einer überaus traditionsreichen Stätte: Erstmals seit über 80 Jahren klettern die Kämpfer am 15. September wieder in der Stadthalle durch die Ringseile. SES-Promoter Ulf Steinforth hat die Show-Bühne auf der Rotehorninsel nach langer Pause für die edle Kunst der Selbstverteidigung erschlossen (MAGDEBURG KOMPAKT hatte in der jüngsten Ausgabe über die bis 1919 zurückzuverfolgenden Boxtradition in der Landeshauptstadt berichtet).

„Wir sind immer auf der Suche nach attraktiven Locations“, berichtet Steinforth im Gespräch mit dieser Zeitung. „Als Unternehmen, das in Magdeburg seinen Sitz hat, ist es schon unser Anspruch, mindestens einmal im Jahr in unserer Heimatstadt eine Veranstaltung durchzuführen.“ Obwohl, schiebt der Mann nach, der im vergangenen Jahr bei der Wahl zum „Magdeburger des Jahres“ auf einem Ehrenplatz landete und seine Boxer zusammen mit Fuß- und Handballern als würdige Vertreter der Sportstadt Magdeburg sieht, „einmal ist eigentlich noch zu wenig.“ Zu Gast mit seinen Boxern war der 51-Jährige unter anderem schon in der Getec-Arena, der Gieseler-Halle, auf der Seebühne und im Life-Sportpark. „Da lag es doch nahe, diesen Ort an der Elbe für uns zu erschließen und eine 1935 dort zunächst für lange Zeit beendete Sportlinie wieder aufzunehmen.“

Im Mittelpunkt der SES-Gala steht diesmal Schwergewichts-Hoffnung Tom Schwarz. Der 24-Jährige Magdeburger ist in all seinen 21 bisherigen Profi-Gefechten unbesiegt geblieben und verkündet schon einmal forsch in jugendlichem Überschwang: „In ein paar Jahren bin ich Weltmeister.“ Derzeit nimmt er in der unabhängigen Weltrangliste, die Athleten der vier führenden Weltverbände in sich vereint, schon Platz 22 ein. „Dennoch“, mahnt Steinforth, „für ihn wird es jetzt vor allem darum gehen, sich in der Männerwelt durchzusetzen.“  Soll heißen: gegen immer stärker werdende Konkurrenz.

Ob der Gegner am 15. September (wenn Schwarz seinen Inter-Conti-Titel des Verbandes WBO verteidigt), der Mexikaner Julian Fernandez, schon dieser Kategorie zuzurechnen ist, muss sich freilich erst noch erweisen. Der Lateinamerikaner, der sich den furchterregenden Kampfnamen „Pit Bull Junior“ zugelegt hat, kann gleichfalls von sich behaupten, in zehn Gefechten noch ungeschlagen zu sein. Doch über seine Heimatstadt Tijuana ist er boxerisch noch nicht hinausgekommen und die Namen seiner Kontrahenten, sämtlich Landsleute, vermögen die Welt des Faustkampfes wenig zu erschüttern. In der unabhängigen Weltrangliste nimmt der Mann, der sich seit eineinhalb Jahren als Profi verdingt, die Position 166 ein. „Er hat noch nicht die Kracher geboxt, die ich geboxt habe. Ich habe Kraft für 20 Runden. Er ist noch nie über die volle Distanz gegangen. Meine Erfahrung wird mein Vorteil sein", glaubt der gebürtige Hallenser.

Zuletzt hatte Schwarz von sich reden gemacht, als er im April in Berlin in einem wahren Krawall-Kampf als Sieger hervorging. Sein Gegner, der Deutsch-Kosovare Senad Gashi, war nach sechs Runden disqualifiziert worden. Im anschließenden munteren Schlachtengetümmel mischte der Magdeburger allerdings mit, hatte sich zu wenig in der Gewalt. Genau an dieser Stelle soll nun ein neuer Trainer eingreifen. SES hat dafür den einstigen DDR-Schwergewichtler Ulli Kaden ausersehen, um den Weg von Schwarz zur Weltspitze weiter zu begleiten, ihn vor allem in heißen Phasen noch abgeklärter zu machen. Coolness sei heute sehr wichtig, meint Kaden. „Tom gibt sich zwar cool, aber ich glaube nicht, dass er es bei schweren Gegnern ist“. Von Kadens Erfahrung kann sein Zugpferd profitieren, hofft Steinforth und fügt hinzu: „Außerdem kehren neue Besen gut.“ Er „kenne den Ulli schon lange“, sagt der Promoter und spricht von einem Wunschkandidaten. Als Kaden zu Amateurzeiten Starboxer wie Kubas dreifachen Olympiasieger Teofilo Stevenson oder den späteren britischen Schwergewichts-Champion Lennox Lewis schlug, hatte er vorm Fernseher mitgefiebert.

Notwendig geworden war der Trainerwechsel, weil Dirk Dzemski, der bisherige Lehrmeister von Schwarz und den meisten anderen der SES-Truppe, im Laufe seiner langen Karriere als Aktiver und Coach an beiden Händen schwere Schäden davongetragen hat.  Ende Juni musste er sich einer ersten Handoperation unterziehen. Dabei wurde ein künstliches Seitenband für seinen rechten Daumen eingesetzt. Zwölf Jahre hatte der einstige Erfolgsprofi – er war unter anderem  Weltmeister im Mittelgewicht des kleineren Weltverbandes NBA – keine richtige Faust mehr ballen können. Zuletzt war es dem 46-Jährigen sogar unmöglich, die für einen Trainer unverzichtbare Pratzenarbeit mit seinen Schützlingen zu absolvieren.

Eine Operation verschob er immer wieder: „Es war nie der richtige Moment. Immer wieder standen wichtige Kämpfe bevor. Erst als ich plötzlich nicht einmal mehr eine Kaffeetasse richtig hochhalten konnte, wusste ich, jetzt muss ich handeln.“ Die Berufsgenossenschaft finanziert nun Dzemski , der nebenbei noch eine Spedition betreibt, die Beseitigung dieses Mankos. An der anderen Hand stehen ebenfalls Eingriffe bevor. Im September wird bei einer Arthroskopie der Schaden aus alten Boxertagen begutachtet. „Davon wird abhängig sein, ob weitere Operationen anstehen“, erklärte Dzemski der „Mitteldeutschen Zeitung“. Gegenwärtig übt er sich daheim als Reha-Maßnahme noch eifrig mit dem Kneten von Modelliermasse. Seine Rückkehr an den Ring ist ungewiss. „Ich würde schon gern wieder einsteigen, aber so lange ich nicht weiß, wie der Heilungsprozess verläuft, kann ich da keine Aussage treffen“, hält sich Dzemski bedeckt. Alles, sagt er, scheint möglich.

Nun also erst einmal Kaden für Dzemski. Seit dem 1. August arbeitet er mit Schwarz. Unter der Woche wohnt Kaden in Magdeburg, fährt an den Wochenenden zu seiner Familie nach Gera. Der Neue sieht  in der Arbeit mit Schwarz durchaus eine Chance. „Sie bekommt man im Leben nicht so oft. Die werde ich wahrnehmen.“ 2016 hatte er in Frankfurt den letzten Profi betreut und danach beim Fitnessboxen die Verbindung zu seinem Sport gehalten. Kaden ist begeistert von seiner neuen Schwergewichtshoffnung, verspricht in der Stadthalle gegen den Mexikaner ein vorzeitiges Ende und prophezeit Schwarz eine große Zukunft: „In ein, zwei Jahren wollen wir ganz oben angekommen sein." Mit seinen 24 Jahren habe Schwarz insbesondere technisch-taktisch noch viel zu lernen.  „Menschlich“, sagt Kaden, „passt das bei SES alles gut“.

Wohin der Weg von Schwarz genau führt, da ist sich selbst Steinforth nicht so ganz im Klaren. „Viel hängt von der Entwicklung in der absoluten Weltspitze ab. Gelingt es beispielsweise dem Briten Anthony Joshua, die Gürtel aller vier Weltverbände auf sich zu vereinen? Und wenn ja, wie gestalten sich dann die Fristen für Titelverteidigungen? Manchmal geht plötzlich alles sehr schnell.“ Ob er da schon Schwarz mit im Blick hat, lässt der 51-Jährige offen. Dennoch: Fragen über Fragen. Der SES-Chef will daher nicht ausschließen, dass Schwarz zunächst einen eventuellen EM-Kampf anstrebt, bevor er ganz nach oben greift. Einen kleinen Haken gibt es jedoch. Den Europa-Gürtel besitzt bereits einer seiner Schützlinge, der Ruhrpott-Fighter Agit Kabayel, in der Weltrangliste noch vier Plätze vor Schwarz einsortiert. Eines steht für Steinforth fest: „Ein Stallduell zwischen beiden wird es nicht geben.“

Und noch ein weiterer SES-Star klettert am 15. September durch die Seile. Für Adam Deines, den aktuellen deutschen Meister im Halbschwergewicht, geht es um den WBC-International-Silver-Gürtel . Wieder so ein ebenso mysteriöser wie abenteuerlich klingender Titel, wie ihn nur geldgierige internationale Box-Verbände hervorbringen können. Der 27-Jährige gehört schon zu den 25 besten Boxern der Welt und möchte weiter nach oben klettern. „Ich will so schnell wie möglich Weltmeister werden“, sagte er. Ex-SES-Weltmeister Robert Stieglitz, der Deines betreut, glaubt an seinen Schützling: „Adams Zeit ist jetzt gekommen. Er braucht jetzt gute Gegner, um ein Großer zu werden." Rudi Bartlitz


Ulli Kaden – der neue Coach

Der neue Trainer bei SES-Boxing gilt als erfolgreichster Schwergewichtler des DDR-Boxens. Neun Mal holte er den Titel. Geboren wurde Kaden am 9. März 1959 in München. Seine Familie siedelte noch vor dem Mauerbau 1961 ins Erzgebirge um. Seine boxerische Laufbahn begann er 1959 bei Motor Schwarzenberg, wo er bei Siegfried Beyer, Vater des späteren Profi-Weltmeisters Markus Beyer, erstmals die Handschuhe überstreifte. 1975 wechselte er zur neu gegründeten SG Wismut Gera. Neben dem DDR-Juniorentitel 1976 gewann er  zwei Jahre später in Dublin die EM-Silbermedaille in dieser Altersklasse. 1987 in Turin holte er sich die Europameisterschaft, im Endkampf schlug er den UdSSR-Boxer Alexander Jagubkin nach Punkten. Er verteidigte den Titel bei der nächsten EM 1989 in Athen. In der Erfolgsbilanz stehen ferner 1982, 1986, 1989 jeweils Siege beim Internationalen Boxturnier um den Chemiepokal in Halle. 1986 nahm er an der WM in Reno (USA) teil, schied dort im Achtelfinale nach einer Punktniederlage gegen den dreimaligen Olympiasieger Stevenson aus Kuba aus. Insgesamt drei Mal besiegte Kaden laut Branchendienst BoxRec den kubanischen Nationalhelden, sechs Mal unterlag er ihm. 1987 holte der DDR-Schwergewichtler den Weltcup in Belgrad, besiegte dabei auch den späteren britischen Profi-Weltmeister Lennox Lewis. Bei Olympia 1988 in Seoul verlor er in der zweiten Runde vorzeitig gegen Lennox Lewis, der anschließend Gold gewann.  Nach der Wende wurde Kaden mit dem CSC Frankfurt/Main zweimal deutscher Mannschaftsmeister. „Ich hatte mich eigentlich nie mit dem Gedanken getragen, als Profiboxer mein Geld zu verdienen. Mir war dieser Weg zu ungewiss“, bekannte er in einem Interview. In der Mainmetroploe arbeitete er lange als Angestellter in einer Immobilienfirma. Als 54-Jähriger wagte er als Trainer den Sprung zu den Profis, betreute in Frankfurt aufstrebende Talente. Der jetzige Job bei SES beschert ihm mit Tom Schwarz den ersten Profi von internationalem Rang.

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