Max Planck und Rogätz

Der Industrielle Dr. Carl Still aus Recklinghausen bot Max Planck im Herrenhaus des Rogätzer Ritterguts Unterschlupf. Fotos: Gerald Wolf

Was haben Max Planck und Rogätz miteinander zu tun? Das fragte ich mich, als ich dieser Tage in Rogätz herumspazierte und dort auf ein Schild stieß: Max-Planck-Straße. Wie das? Hier, in einem solchen Nest, eine Max-Planck-Straße?

Tatsächlich, es gibt einen Zusammenhang. Seit Kurzem weiß ich Bescheid. Und bekanntlich regt kaum etwas so stark das Mitteilungsbedürfnis an wie das, was man gerade erst erfahren hat. Aber zurück zu Rogätz, wie es mir begegnete. Die Langeweile trieb mich um, raus musste ich, raus aus Magdeburg, raus zum Luftholen. Elbabwärts in Richtung Tangerhütte war die Idee und Rogätz lag an der Strecke. Das Dorf wirkte wie alle anderen Ortschaften hier, so, als ob sie sich in sich selbst zurückgezogen hätten. Kein Mensch war zu sehen, kaum Grün, nichts blühte, kein Vogel außer Krähen und ein paar verloren wirkende Sperlinge. Feucht und kalt war es, der Himmel grau und der Wind unentschlossen, ob er nun wehen sollte oder nicht. Derweil ich den kopfsteingepflasterten Weg zum Elbufer hinunterstakte, rätselte es wieder in meinem Kopf. Eine Max-Planck-Straße in Rogätz! Ist er, der große deutsche Physiker, womöglich hier geboren worden? Planck, der große Rogätzer? – Wohl kaum, denn dann wäre öfter von ihm zu hören.

Von der Bedeutung her wird Planck mit Albert Einstein in eine Reihe gestellt: Max Planck als Begründer der Quantenphysik, 1918 Nobelpreis für Physik. Schon damals war klargeworden, dass sich die Plancksche Quantentheorie nicht mit der Einsteinschen Relativitätstheorie verträgt, und noch heute wird nach einem Weg zur Vereinheitlichung der beiden Theorien gesucht. Auch hatten die Gelehrten miteinander persönliche Probleme. Eine stattliche Anzahl von Begriffen geht auf Planck zurück: das Plancksche Strahlungsgesetz, das Plancksche Wirkungsquantum, die Planck-Zeit, die Planck-Länge, die Planck-Masse. Zu denken ist natürlich auch an die Max-Planck-Gesellschaft. In den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hervorgegangen, gehören zu ihr heute 84 große Forschungseinrichtungen, die über ganz Deutschland verteilt sind. In Magdeburg gibt es auch eine: das Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme. Max Planck, so bedeutsam er ist, wieso aber, fragte ich mich, wurde eine der wenigen Straßen von Rogätz ausgerechnet nach ihm benannt?

Am Ufer wartete die Fähre, um Autos und Menschen auf die Schartauer Elbseite zu bringen. Kaum jemand wollte mit. Die Mauer am Hochufer hatte als Betätigungsfeld für Schmierfinken herhalten müssen. „FCM“ prangte da in übermannshohen Lettern, verkrakelt mit Botschaften, die womöglich gar keine sind. Oder von geheimer Art. Eine Schar Enten dümpelte in Ufernähe. Stockenten? Nicht möglich, zu klein dafür. Auch kamen von dort helle „Wiiuh“-Laute. Oder eher „Wu-wiiuh“. Ein Blick durchs Fernglas bestätigte: Pfeifenten sind’s – schwarzer Schwanz, brauner Kopf, blonder Scheitelstreif, weißer Fleck an der Körperseite. Im Winter recht häufig zwar, die Pfeifenten, aber eben etwas anderes als die üblichen Stockenten. Während ich so schaute, tauchte es aus meinem Unterbewusstsein herauf: Du hast doch dein Handy dabei, da google doch mal!

„Planck“ tippte ich ein, dazu „Rogätz“. Von wegen keine Netzanbindung in der Provinz, gerade mal ein paar Sekunden, und ein Beitrag aus dem Jahre 2008 bot sich an: „Mit Max Planck im Exil“ (https://www.welt.de/welt_print/article2475474/Mit-Max-Planck-im-Exil.html). Hier in Rogätz, stand da zu lesen, habe Max Planck anderthalb Jahre lang gelebt. Sein Haus in Berlin-Grunewald wäre 1943 im Bombenkrieg beschädigt worden und auf Drängen seines Sohnes Erwin habe Planck eine Einladung des befreundeten Großindustriellen Dr. Still befolgt. Dieser, aus Recklinghausen stammend, ein Spezialist für Koksöfen, hatte das Rogätzer Rittergut ausbauen lassen. Und hier, im Herrenhaus gleich neben dem wuchtigen Klutturm, bot er Max Planck mit Ehefrau Marga zu wohnen an.

Der Artikel ist gut geschrieben. Ich musste ihn stehenden Fußes lesen. „Meine Zeit ist vollständig ausgefüllt mit Schreiben, Lesen, Spazierengehen und allerhand Arbeiten“, habe der mittlerweile 85-jährige Gelehrte an seinen Schüler und Vertrauten Max von Laue (ebenfalls Nobelpreisträger) geschrieben. Er lese mit viel Freude das Buch „Raum – Zeit – Materie“ des Mathematikers Hermann Weyl. Natürlich war da niemand, mit dem Planck sich hätte darüber austauschen können. Allein dem Briefwechsel mit Kollegen und Freunden blieb das vorbehalten. Hier auch, in Rogätz, erhielt Planck die Nachricht, dass sein Sohn Erwin als Mitverschwörer des 20. Juli 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt worden war. In seiner Verzweiflung hatte sich der Vater an Hitler gewandt: „Als Dank des deutschen Volkes für meine Lebensarbeit, die ein unvergänglicher geistiger Besitz Deutschlands geworden ist, erbitte ich das Leben meines Sohnes.“ Hitler antwortete nicht und der Sohn wurde hingerichtet.

Die Max-Planck-Straße in Rogätz.

Eine kleine Ausstellung im ehemaligen Torhaus, ein Straßenname und eine Bronzetafel am früheren Herrenhaus erinnern heute an die Plancks, die hier bis 1945 Unterschlupf erhalten hatten. Das Herrenhaus wurde längst in einen Kindergarten umgewandelt. Einige Mütter und Väter, von der Arbeit kommend, holten gerade ihre Sprösslinge ab. Sie befragte ich nach dem berühmten Vorbewohner des Hauses. Achselzucken oder ein leicht peinlich berührtes „Weiß-nicht“. Ein Junge mit Ranzen, etwa vierzehn- oder fünfzehnjährig, schlenderte vorbei. Ihm bedeutete ich, doch mal kurz die Stöpsel aus seinen Ohren herauszunehmen, damit ich ihm eine Frage stellen könne. Das tat er. Und: Nein, von einem Planck hatte er nichts gehört. Nichts? Kann denn das sein: nichts? Auch in der Schule nichts, fragte ich ihn nun in höherer Stimmlage und mit schief verzogenem Mund. Er gehe hier nicht zur Schule, sondern in Wolmirstedt, war die Antwort.

Ich schaute hinein in das ehemalige Herrenhaus. Eine Erzieherin teilte mir freundlich mit, jawohl, sie hätte da was gehört. Richtig, die Bronzetafel, die da am Haus, genau. Aber ich sollte besser mal ein paar alte Dorfbewohner befragen. Jawohl, die vielleicht, die würden eventuell etwas wissen.

Retter des örtlichen Ansehens war ein jüngerer Mann. Mit Hund kam er daher, freundliches, forsches Auftreten. Er wusste Bescheid. Auch, dass es da eine kleine Heimatgruppe gäbe, die sich um Plancks Nachlass kümmert und um all das, was heute noch an ihn erinnert. Oder eben erinnern sollte. Gleich darauf winkte er eine ältere Dame heran, deren Vater, wie sie dann nicht ohne Stolz erzählte, Max Planck des Öfteren über den Weg gelaufen wäre. Recht unscheinbar sei er aufgetreten, dieser alte Mann, von dem damals die Wenigsten gewusst hätten, wie berühmt er sei. Ja, fügte sie mit einem schmalen Lächeln hinzu, und das bis zum heutigen Tage.

Auf der Heimfahrt musste ich immerzu an Max Planck denken. Und an Rogätz. Der Ort ist alles andere als kurzweilig, das Gegenteil von kurzweilig eher, und trotzdem … Prof. Dr. Gerald Wolf

Zurück